Das gläserne Paradies
ein Glas Bier in ein Gasthaus einzuladen, wagte es dann aber doch nicht.
Sie seien die Leute mit dem Geld in der Tasche! Sie seien der Kunde. Einmal im Leben. Und der Kunde sei König,argumentierten Karl und die anderen Männer. Also solle der Aktienhändler zu ihnen kommen und nicht umgekehrt. David Wagner reagierte auf diesen Wunsch gelassen. Da Gerhard Grosse ihm untersagt hatte, dem Handel beizuwohnen, war es David gleich, wo die Aktien übergeben wurden. Also beauftragte er den Berliner »Privatier«, wie Strobel den Mann genannt hatte, nach Lauscha zu fahren.
Daà es sich bei diesem Mann um eine etwas dubiose Gestalt handelte, darauf hatte David die Lauschaer vorbereitet. So, wie Strobel ihn vorbereitet hatte.
»Dieser Herr mag ein etwas seltsames Auftreten haben und etwas ungeschliffen sprechen, aber er verfügt über Beziehungen in der Finanzwelt, die ihresgleichen suchen!« Strobel hatte seine Aussage mit einem lässigen Schulterzucken unterstrichen, als wolle er sagen: Nur ein Kleingeist kümmert sich in einem solchen Fall um ÃuÃerlichkeiten. David hatte ebenso lässig genickt.
Zwei Tage später fand im »Schwarzen Adler« das Treffen zwischen dem Berliner Aktienhändler und Karl dem Schweizer Flein, Martin Ehrenpreis und Gustav Müller Sohn statt.
Benno, der Wirt, dem die Bedeutung dieser Stunde sehr wohl bewuÃt war, hängte ein Schild mit der Aufschrift »Geschlossene Gesellschaft« an die Tür â schlieÃlich war man als Wirt seinen Gästen gegenüber in der Pflicht.
Wanda, deren Schniefen und Schnupfen sich allmählich zu einer Sommergrippe mauserte, saà fiebrig schwitzend ebenfalls mit am Tisch.
Auch der Privatier schniefte ständig, schien aber ansonsten ganz konzentriert zu sein. Dreimal zählte er den Inhalt aus Wandas Holzkistchen, die Scheine und Münzenin Stapel und Häufchen verteilt, und schlieÃlich wechselten knapp elftausend Goldmark den Besitzer.
Im Austausch überreichte ihnen der Berliner eine Mappe mit Aktien, die von den Glasbläsern ob ihrer opulenten Gestaltung eingehend begutachtet und bewundert wurden.
Ein groÃes Segelschiff prangte in der Mitte der Papiere, der Schriftzug »Bremer Reederei Schlüter« war kunstvoll verschnörkelt und wand sich teilweise um die Segel des Schiffes. Dies alles wurde eingerahmt von einer rotgoldenen Bordüre. Die Aktien hätten einen Nennwert von fünfhundert Mark, erklärte der Wertpapierhändler schniefend und zeigte auf die entsprechende Zahl. Karl und die anderen nickten andächtig.
»Daà so ein Stück Papier so viel wert sein kann«, murmelte er, während seine schwieligen Hände eine Aktie gegen das Licht hielten. »Was für ein schöner Schein â¦Â«
Der Aktienhändler lachte. »Das können Sie laut sagen!«
Eine Runde Obstbrand besiegelte das Geschäft. Danach verabschiedete sich der Aktienhändler, der am selben Abend noch einen Termin in Schweinfurt wahrnehmen muÃte, hastig.
»Auf die wundersame Geldvermehrung!« schrie Karl, kaum daà die Tür hinter dem Mann zugeschlagen war. Er langte nach der Schnapsflasche, schenkte mit zitternden Händen nach, schob die Gläser über den Tisch. Die Mappe mit den Aktien steckte er in eine dicke lederne Tasche â es war vereinbart worden, daà er die Aktien in Gewahrsam nehmen würde. Wanda hätte die Papiere lieber zu David Wagner in die Bank gebracht, aber Karl hatte abgewinkt. Die Wertpapiere seien bei ihm sicher, bis zu dem Tag, an dem man sie der Bank zum Verkauf präsentieren werde.
»Auf die wundersame Geldvermehrung!« schrieen auchdie anderen. Wanda, der etwas schwindlig war, nickte dazu. Gläser klirrten aneinander, Schnaps brannte in den Kehlen und dann im Bauch.
»Ich weià nicht, es ist sehr seltsam, aber ich habe den Mann schon einmal gesehen â¦Â«, murmelte Benno vor sich hin, während er die Flasche erneut fragend hochhielt. »Ich grübele schon die ganze Zeit, wo das gewesen sein könnte â¦Â«
»Klar, du machst ja ständig Geschäfte mit Aktienhändlern!« sagte Martin und streckte dem Wirt sein leeres Glas entgegen.
»Bestimmt ist er ein Stammgast, der hier mit seinen schönen Scheinchen ein und aus geht!« Karl lachte.
»Im Ernst!« verteidigte sich Benno. »So einen vergiÃt man nicht so schnell. Aber mir will ums Verrecken nicht
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