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Das gläserne Paradies

Das gläserne Paradies

Titel: Das gläserne Paradies Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Durst-Benning
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einfallen, wo ich den Mann schon einmal gesehen habe! In Lauscha war’s jedenfalls nicht.«

37. K APITEL
    Die Glocken läuten mit mächtigem Schall,
    Sie jauchzen, sie mahnen, sie rufen:
    Kommt eilends herbei heut, ihr Gläubigen all,
    Und schaut eure Kirche am Berge!

    In traulicher Mitte, den Menschen so nah,
    Doch oben, den Ort überschauend,
    Hoch ragend, weit grüßend und schmuck steht sie da,
    So fest, unsre Kirche am Berge.

    Zum erstenmal öffnet sich heute ihr Tor,
    Die fromme Gemeinde zu fassen,
    Und »Lobe den Herrn« klingt mächtig im Chor –
    Man weiht unsre Kirche am Berge.

    Wir grüßen dich mit dankbarem Blick!
    Sei Trost uns und Schutz unterm Glauben,
    Und führe uns sicher zum Vater zurück!
    Gott schütz’ unsre Kirche am Berge.

    Die neue Kirche war bis auf den letzten Platz besetzt. Die schweren schwarzen Sonntagsanzüge der Männer rieben an den Armen aneinander, die feinen weißen Sonntagskleider der Frauen bauschten sich übereinander auf, kein Mäuschen hätte mehr auf den vollbesetzten Kirchenbänken Platz gefunden. Auch Leute wie Thomas Heimer, Richard und Wanda, die sonst nicht in die Kirche gingen, hatten sich an diesem 17. September im Gotteshaus eingefunden – teils aus Neugier, wie die neue Kirche wohl aussehen mochte, teils aus dem schlichten Wunsch heraus dabeizusein. Jeder wollte teilhaben an der großen Sache, jeder war ein Teil von ihr. Denn ohne den großen Einsatz der Lauschaer Bürger wäre die Kirche längst nicht so schön geworden: Herrmann Greiner Vetters Sohn hatte sechs der Fenster gespendet. Das große Portalfenster hatte die Kirche der Familie Steiner zu verdanken. Die Orgel hätte es ohne Ernst Müller Philipp Sohn nicht gegeben. Zwei Altarleuchter waren von einer anderen Familie gekommen, das Kruzifix von der Lauschaer Witwe, für deren Haus sich Wanda interessiert hatte. Damals, als auch Richard noch Interesse an einem Haus für sie und Sylvie und sich selbst gezeigt hatte.
    Eine Liste der großzügigen Spender war in der Wochezuvor im Wochenblatt abgedruckt worden. Kein Wunder, daß die Leute so knapp bei Kasse waren, als es darum ging, den Topf der Genossenschaft zu füllen, war es Wanda angesichts der teilweise sehr hohen Geldbeträge durch den Kopf gegangen.
    Staunend schaute sie sich in dem Gotteshaus um. Sie konnte kaum glauben, daß erst im letzten Sommer der Grundstein gelegt worden war. Ein solches Bauwerk in knapp dreizehn Monaten zu vollenden – wie konnte das gehen? »Der Herrgott hat seine Hand schützend darüber gehalten«, hatte Eva auf dem Weg zur Kirche gesagt. »Er hat den Arbeitern fast nur gutes Wetter geschickt und sie vor Unfällen bewahrt.« Eva hatte ein Tuch mit aufwendigen Stickereien für den Altar angefertigt. Gleich beim Eintreten machte sie Wanda darauf aufmerksam.
    Was für ein schönes Haus, dachte Wanda. Aus massiven Bruchsteinen errichtet. Stein auf Stein, von Menschenhand gesetzt. Im Kirchturm waren drei große Glocken untergebracht, die einige Zeit zuvor unter großer Anteilnahme der Bevölkerung auf dem Lauschaer Bahnhof in Empfang genommen worden waren. Wanda war nicht dabeigewesen, zu sehr hatte Sylvie sie an diesem Tag in Anspruch genommen.
    Der Altar war schlicht, das Kreuz darüber aus Holz, eine feine Handwerksarbeit, die leidenden Gesichtszüge Jesu für jedermann sichtbar.
    Vor diesem Altar hatten Richard und sie stehen wollen, noch in diesem Herbst, um sich als Mann und Frau trauen zu lassen. In guten wie in schlechten Zeiten … Doch im Moment war davon gar keine Rede mehr. Genausowenig wie von dem Haus, das sie sich suchen wollten. Keine Zeit – die Ausstellung!
    Keine Zeit – für ihre gemeinsame Zukunft?
    Unauffällig schob Wanda ihre Hand unter Richards. Sie hatte den Mund schon geöffnet, um ihn an ihren Gedanken teilhaben zu lassen, doch er starrte so stur geradeaus, daß Wanda die Lust verging. Heute war ein Festtag, ein Tag zum Feiern, und nicht einer, um trüben Gedanken nachzuhängen.
    Was dem Altar an Prunk fehlte, wurde von den farbigen Fenstern wettgemacht, deren Darstellungen an diesem sonnigen Sonntag wie von innen heraus glühten. Immer wieder stupsten sich die Kirchenbesucher gegenseitig an und zeigten auf die lichthellen Abbildungen, ein Lächeln auf dem Gesicht, manch einer auch mit einer Träne im Auge.
    Auch Wanda

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