Das gläserne Tor
hinsehen konnte, drückte er sie an ihren Hals und küsste ihr Schlüsselbein. Noch hatte sie die
Arme verschränkt, aber sie wurden zusehends schwerer. Als er sich wieder etwas aufrichtete und ihre Hände ergriff, ließ sie den Widerstand fahren. Aber Anschar ansehen – nein, das konnte sie jetzt nicht. Gefiel ihm, was er sah? War ihr Körper schön? Sie hatte keine Ahnung. Nicht die geringste.
Seine Hand umschloss mühelos eine Brust. Sein Daumen umkreiste die Spitze. Es war wie beim ersten Mal; etwas Glühendes bohrte sich in ihren Unterleib und ließ sie aufstöhnen. Ein Beben durchfuhr sie, sodass sie für einen Augenblick nicht wusste, ob es die Erde war, die wankte. Dann fasste sie sich, atmete sich seiner Hand entgegen, berührte sein Haar, schnupperte daran. Es roch frisch, wie alles an ihm. Sie ließ es geschehen, dass er sie sanft auf die Felle drückte und sich halb auf sie legte. Als er sie küsste, schmeckten seine Lippen salzig.
»Warum weinst du?«, fragte sie verwundert.
»Mir ist danach.«
»Dass ein Volk, das unter der Trockenheit leidet, so viel weinen kann.«
Er lächelte wehmütig. »Und dabei bin ich nur ein halber Argade. Henon, der es am besten konnte, war gar keiner.« Letzte Tränen drangen unter seinen Augen hervor, als er sie schloss. Sie strich über sein feuchtes Gesicht, und da küsste er ihre Handinnenfläche. Ohne es zu wollen, ließ sie ein kleines Rinnsal aus ihrer Hand laufen. Als habe er nur darauf gewartet, seinen Durst zu löschen, leckte er es auf. Seine Lippen wanderten bis hinunter zu ihrer Armbeuge. Er zerrte das Stoffknäuel, das seinen Unterleib von ihr trennte, beiseite. Etwas Hartes drückte gegen ihre Hüfte.
»O Himmel, was ist das?«
»Das weißt du nicht?«
»Doch, aber …« Sie bedeckte den Mund. Natürlich wusste sie es. Aber gesehen hatte sie es nur bei antiken Statuen und
auf Vasenmalereien. Und da war diese … Unaussprechlichkeit immer so klein gewesen. Sie dachte daran, wie er sich in Gegenwart seines Königs zwischen die Beine gegriffen hatte. Nervös lachte sie auf.
»Ich heule, du lachst«, meinte er belustigt. »Es ist wirklich schwierig, wenn zwei Menschen aus so unterschiedlichen Welten zueinanderfinden wollen.«
»Entschuldige. Ich musste gerade an eine Birne denken.«
»Ach ja?« Jetzt lachte er auch. »Und kommt ein Jung’ übern Kirchhof her, so flüstert’s im Baume: ›Wiste’ne Beer?‹< Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: ›Lütt Dirn, kumm man röwer, ick gew’ di’ne Birn.‹«
»So spendet Segen noch immer die Hand des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland. Du hast es wirklich nicht vergessen?«
»Niemals. Auch wenn die Wörter noch so schwierig sind.«
»Es gibt auch einfache: Ich liebe dich .«
Fragend sah er sie an. Sie wiederholte es auf Argadisch. Seine Augen blitzten auf.
»Die Sprache deiner eisernen Welt kennt dafür weiche Wörter? Wer hätte das gedacht?«
Was er empfand, zeigte er mit einem schweigsamen, unendlich zärtlichen Kuss. Dann hielt er still. Er lag nur da, betrachtete sie und strich hin und wieder mit einem Finger unter ihren Augen entlang, um ein paar Tränen abzuwischen. Warum weinte sie überhaupt? Sie fühlte sich glücklich in diesem Moment. Aber auch zutiefst verunsichert. Anschar ließ ihr Zeit, vielleicht zu viel. Sie hörte die Regentropfen, die den Wald zum Rauschen brachten. Hörte es kratzen und knacken. Sie wusste wieder, wo sie war und was sie zurückgelassen hatte. Ein Schauer rieselte über ihre Haut, und sie wollte die Decke noch weiter hinaufziehen, aber dann begriff
sie, was sie brauchte. Seine Nähe. Ihn hatte sie jetzt, sonst nichts – nur er konnte sie wärmen. Sie umschlang ihn, hob sich ihm entgegen. Er hielt sie fest, strich über ihren Rücken, bis ihr der Schweiß aus allen Poren brach. Sie zog die Decke beiseite, und als sie sich wieder sinken ließ, breitete sie die Arme aus. Nichts wollte sie mehr bedecken, nichts gab es mehr zu schützen. Seine Lippen glitten über ihren Körper, seine Finger kreiselten in den Haaren zwischen ihren Beinen. Sie wollte aufschreien. Würde es nicht seltsam klingen, sich so gehen zu lassen? Sie ließ es zu, dass er ihre Beine sanft auseinander drückte, aber sie presste den Mund fest zusammen. Sie schämte sich viel zu sehr, ihm zu zeigen, was seine Berührungen in ihr auslösten. Dass sie keuchte und fiepte wie ein Tier. Unmöglich, sich so gehen zu lassen – unmöglich! Unmöglich, es zu verhindern … Sie hörte sich aus
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