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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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wir uns morgen an, was der Schamindar angerichtet hat. Für heute wird er ja wohl nicht zurückkommen.« Etwas zögerlich schob er das Schwert in die Scheide. Parrad und Oream nickten ihm zu und machten sich daran, zu ihren Schlafplätzen hinaufzuklettern. Anschar sah ihnen nach.
    »Einen Herzschlag lang hatte ich die Gelegenheit, ihn zu töten«, sagte er wie zu sich selbst. »Oder es wenigstens zu versuchen. Aber dann hätte ich dem Gott Leid zugefügt.«
    »Und wenn das Biest morgen zurückkehrt? Oder übermorgen?«, fragte Grazia.
    »Glaube ich nicht.«
    »Du weißt es aber nicht.«
    Mit einer matten Geste strich er sich die nassen Haare aus dem Gesicht. »Nein. Es tut mir leid. Ich habe mein Versprechen nicht gehalten.«
    »Du wirst es nie halten können.«
    »Ich weiß.«
    Grazia ahnte, dass nicht der zurückliegende Angriff der Bestie ihn plagte, sondern die vielen Gefahren, die ihnen noch bevorstehen mochten. Die Aussichtslosigkeit, ihre Lage zu ändern, drückte ihn nieder. Jetzt, da sie hier war, mehr als zuvor.
    »Anschar, lass uns weggehen.«
    »Wohin, Feuerköpfchen? Wohin? Soll ich dich ein zweites Mal durchs Tor schicken? Soll ich diesmal mitkommen?«
    »Das habe ich mich so oft gefragt.« Ihre Hand stahl sich in seine. Ihre Finger verkeilten sich ineinander. Für sie wäre das
Leben dort erträglicher, aber nicht für ihn; an dieser Überlegung hatte sich nichts geändert. Er gehörte nach Argadye, und das war es ja auch, was er sich ersehnte. Es war immer noch ein gordischer Knoten, geknüpft aus der verhängnisvollen Wette eines leichtsinnigen Königs.
    Anschar sagte nichts mehr. Sie merkte, wie müde er war, also ließ sie das Thema fallen. Er ging in ein Zelt und kam mit einem Krug unter dem Arm heraus. »Ein teurer Wein aus dem Hyregor«, erklärte er. »Den habe ich mir jetzt wohl verdient.« Er führte sie zu ihrem Baum und half ihr hinauf. Jetzt in der Nacht war es noch schwieriger, und sie brauchte ewig, bis sie endlich auf die Plattform vor der Hütte kriechen konnte. Im Innern war es erbärmlich kalt und so dunkel, dass sie die Hand nicht vor Augen sah.
    »Ich brauche Licht«, murmelte sie, während sie nach dem Streichholzetui tastete, das sie auf das Wandbord gelegt hatte. »Heute ertrage ich diese Dunkelheit nicht.«
    Ihre Finger waren so klamm und zittrig, dass es ihr nicht gelang, ein Hölzchen anzuzünden. Plötzlich spürte sie Anschars Hand, die sich um ihre schloss und das Etui an sich nahm. Im nächsten Moment hielt er ein brennendes Streichholz hoch, und kurz darauf hatte er das Öllämpchen auf dem Bord entzündet. Das Licht beruhigte sie. Erleichtert kuschelte sie sich in die Felle und ließ sich von ihm zudecken. Er sank neben sie und legte eine Hand auf ihren Bauch. Den Wein hatte er wohl vergessen. Wollte er allen Ernstes jetzt einen weiteren Vorstoß wagen? Nein, seine Lider waren schon zugefallen, die Finger erschlafft, und im nächsten Augenblick atmete er tief und gleichmäßig. Grazia berührte seine Hand und strich über Mallayurs schrundiges Schandmal.
    Mallayur …
    »Anschar!« Sie warf sich herum und rüttelte ihn. »Wie lautete die Wette?«

    »Lass uns nicht daran denken«, murmelte er, ohne die Augen zu öffnen. »Wenigstens jetzt nicht.«
    »Bitte!«
    »Na schön.« Er hob sich auf einen Ellbogen und wischte sich übers Gesicht, als habe er bereits Stunden geschlafen. »Wessen Suchtrupp versagt, der muss dem anderen seinen besten Krieger übergeben.«
    »Und, hat Madyurs Trupp versagt?«
    »Hast du nicht zugehört? Mallayur hat den Gott.«
    »Ja, Mallayur!«
    Er runzelte die Stirn. »Das ist doch …«
    »Haarspalterei, ich weiß.« Aufgeregt biss sie in ihren Daumen. »Aber es ist doch wahr. Oder nicht? Hätten Mallayurs Leute ihn gebracht, müsste der Meya ihn haben. Er hat ihn aber nicht.«
    »Mallayur würde diese Deutung nie akzeptieren.«
    »Ist das nicht egal? Wichtig ist, dass Madyur es tut. Das wirst du besser wissen.«
    Anschar setzte sich auf. Auf seinem Gesicht spiegelte sich Abwehr. Es schien, als wolle er nicht an eine unverhoffte Lösung glauben, um nicht doch noch enttäuscht zu werden. Aber sie sah die Hoffnung aufglimmen. »Natürlich täte er es. Ich schätze, er würde dich mit Gold überschütten und dich zu seiner Beraterin machen.« Er umfasste ihren Kopf und schüttelte sie sanft. »Du bist unglaublich, weißt du das?«
    »Nein.« Sie lächelte. »Also lass uns nach Heria gehen und die Aufgabe vollenden, die dir der Meya gestellt hat.

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