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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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tiefster Kehle aufstöhnen, als er sich auf sie legte. Das war nicht sie, die sich ihm öffnete. Das war nicht sie, die seinen Kuss so heftig erwiderte, als wolle sie seine Zunge verschlingen. Nicht sie bohrte die Finger so fest in seine Schultern, dass es ihm wehtun musste. Nicht sie schrie den Schmerz in seinen Mund, als er in sie eindrang. Und ihre Lust. Nicht sie, niemals.
    Niemals … O doch, ich bin es, dachte sie. Endlich. Ich lebe.
    Morgen waren sie vielleicht gefangen. Oder tot. Jetzt verstand sie, warum er sich diese Nacht erbeten hatte. Sie kosteten ein Stück von der Ewigkeit. Nichts konnte das noch verhindern.

9

    D er Abschied von den Wüstenmenschen fiel ihr leicht, auch wenn sie einige inzwischen mochte. Ralaod drückte ihre Hand. Jernamach sah sie nur schweigend an, doch er nickte aufmunternd. Parrad, der geholfen hatte, die Pferde zu satteln, hielt Anschar die Hand hin.
    »Der Herr des Windes möge dich segnen, Freund.«
    »Ach, jetzt doch wieder ›Freund‹?« Anschar grinste ihn an und packte die Hand.
    »Ist mir so herausgerutscht. Verdammt, ich bin froh, wenn du weg bist. Jetzt wird das Dasein wieder weniger arg.«
    »Und langweiliger.« Anschar knotete den Koffer am Sattel fest. Dann half er Grazia hinauf und schwang sich hinter sie. Im Wald, so hatte er gesagt, wollte er sie lieber vor sich wissen als ungeschützt hinter dem Rücken. Ihr war mehr als beklommen zumute. Vielleicht war es keine gute Idee gewesen, sich ihm hinzugeben, denn jetzt würde es noch mehr schmerzen, wenn ihm etwas geschah.
    Oream ritt voraus. Anschar nahm die Zügel und legte eine Hand auf ihre Taille. Grazia bog den Nacken, um die Größe der Zedern zu erfassen. Es würde einen Tag dauern, aus dem Wald zu kommen. Der Umweg war nötig, um möglichen Suchtrupps zu entgehen. Und die Einsiedelei zu erreichen.

    »Fräulein Grazia! Da soll mich doch der Blitz erschlagen! Ich hatte schon das Schlimmste befürchtet.« Bruder Benedikt
kam auf sie zugelaufen und ergriff ihre Hand. »Was ist passiert? Wie sind Sie hergekommen? Und vor allem – mit wem?«
    Sie drehte sich um und wies auf Anschar, der das Pferd an einer Zeder festgebunden hatte und ein Deckenbündel vom Sattel löste, das er sich über die Schulter warf. Er trat zwischen den Bäumen hindurch auf den Platz vor der Hütte des Dominikaners. Seine Hand lag am Schwertgriff, und er drehte sich um die Achse, während er den Blick über die Hütte und den Felshang schweifen ließ. Weder argadische noch herschedische Krieger hatten ihren Weg gekreuzt, seit sie den Wald verlassen hatten, aber seine Aufmerksamkeit ließ nicht nach.
    Bruder Benedikts Augen weiteten sich, als Anschar auf ihn zukam; er schien es gar nicht zu merken, dass er die Hand nach ihm ausstreckte. Anschar ergriff sie kurz, aber so fest, dass der Mönch einen Schmerzenslaut von sich gab. »Sie – Sie leben?«, stotterte er.
    »Ja, ich lebe«, sagte Anschar auf Deutsch und dann, auf Argadisch: »Aber lasst uns lieber bei meiner Sprache bleiben.«
    »N-natürlich.« Bruder Benedikt machte zwei Schritte rückwärts und ließ sich auf die Bank vor dem Tisch fallen, der mitten auf der Lichtung stand. Mit dem Saum seines Ärmels wischte er sich über die Augen. »Dann stimmte das gar nicht, was der König sagte? Das mit der Hinrichtung?«
    »Offensichtlich nicht.« Anschar ließ das Bündel auf die Bank gleiten. »Jedenfalls noch nicht. Ich werde nach Heria gehen und versuchen, den letzten Gott zu befreien. Mallayur hat ihn in seiner Gewalt.«
    »Den Gott? Aber das ist doch Irrsinn.«
    Grazia legte ihren Koffer auf den Tisch und setzte sich neben den Dominikaner. »Ich wollte dich bitten, meine Sachen aufzubewahren, Bruder Benedikt. In Heria können wir die nicht gebrauchen.«

    »Was heißt das? Dass du Anschar begleiten willst?« Sein Blick flog zwischen beiden hin und her. »Irrsinn, sage ich!«
    Sie biss sich auf die Unterlippe. »Nur bis zur Stadt.« Mit Anschar hatte sie ausgemacht, Benedikt nicht die volle Wahrheit zu sagen. Die Lüge fiel ihr schwer, aber so fühlte sie sich wohler. »Ich möchte dich bitten, für das Gelingen zu beten.«
    »Ich fühle mich gerade wie von einem Felsblock überrollt.« Er machte ein Kreuzzeichen. »Gott sei es gedankt, dass ihr lebt. Aber ich soll dafür beten, dass ein … ja, was? Ein anderer Gott? Es gibt keine anderen Götter.«
    »Ah, ich wusste, dass er sich ziert.« Anschar baute sich über Benedikt auf, der sich unbehaglich gegen die Tischkante drückte, und

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