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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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stand er im Wasser, das ihm bis zu den Knien reichte. Unvermittelt warf er den Kopf zurück, und aus Grazias Kehle löste sich ein Schrei, der im Regen unterging. Schon wieder Blut! Es bedeckte Anschars Gesicht. Seine Augen waren geschlossen. Er hielt still, während der Regen es seinen Körper hinabschwemmte. In den ausgestreckten Händen hielt er ein Messer und den kopflosen Kadaver eines der krähenartigen Vögel. Jäh wurde Grazia daran erinnert, dass sie an einen Mann mit barbarischen Bräuchen geraten war. Er würde nie aufhören, Tieropfer darzubringen, auch nicht ihr zuliebe.
    Er fixierte das Tier am Erdboden, indem er das Messer in einen Flügel stieß, und kniete im Bach, um sich reinzuwaschen. Von einer trockenen Stelle nahm er sein Wüstengewand und streifte es sich über. Dann ging er zur Lichtung, wo sie ihn aus den Augen verlor, doch kurz darauf kehrte er zurück und kletterte zu ihr hoch.

    Sie nahm an, dass er für das Gelingen ihrer Unternehmung geopfert hatte. Oder für das Gelingen der Nacht? Es war so weit, das war ihr klar. Was sollte sie jetzt tun? Sie wich zur gegenüberliegenden Wand zurück. Sich von dem teuren Wein einzuschenken, war ein guter Gedanke. Fahrig tastete sie nach dem Krug auf dem Bord. Fast hätte sie ihn fallen lassen. Einen Becher hatten sie nicht, also setzte sie den Krug an die Lippen. Der Wein rann ihr das Kinn herunter, so nervös war sie. Anschar lachte in sich hinein und nahm ihr den Krug ab.
    »Der war viel zu teuer erkauft, um ihn so hinunterzuschütten«, tadelte er sie mit leisem Spott. Er stellte ihn zurück auf das Brett, dann zog er sie an sich und leckte ihr Kinn sauber. Dabei teilte seine Zunge ihre Lippen, als wolle er sich keinen Tropfen entgehen lassen. Jetzt fiel es ihr leichter, auf diese Art zu küssen, und ihr wurde angenehm warm. So warm, dass sie ein Schweißrinnsal zwischen ihren Schulterblättern spürte. Doch als Anschar nach dem Schal um ihre Mitte griff, um ihn aufzuknüpfen, zuckten ihre Bauchmuskeln zurück. Es kostete sie Überwindung, ihn nicht abzuwehren. Gleichzeitig sehnte sie sich danach, dass er es endlich schaffte, ihre Bedenken wegzuwischen. Eine zweite Nacht wie jene in Argadye, als er unverhofft aus den Werkstätten zurückgekehrt war, wollte sie nicht erleben.
    »Bei dem, was uns in Heria bevorsteht, muss ich jetzt wohl keine Angst haben«, murmelte sie.
    »Nein«, sagte er nur. Seine Finger strichen sanft und langsam über ihr Gesicht, über ihren Nacken, unter ihr Kleid, soweit es möglich war. Seine Augen schwebten so dicht über ihr, dass sie kaum an etwas anderes denken konnte als an ihn. Sie vertraute ihm, ja. Warum tat sie das erst jetzt? Sie hatte Zeit verschenkt.
    Er warf den Schal beiseite und packte den Saum des Gewandes, um ihn über ihre Hüften zu rollen. Sie half ihm, das
unförmige Ding über ihren Kopf zu streifen. Mit zerzausten Haaren kam sie wieder hervor. Er strich ihr eine Strähne aus der Stirn, dann tastete er sich zu ihrem Korsett vor.
    »Bin ich die erste Frau in dieser Hütte?«, platzte sie heraus. Du Dummerjahn!, schalt sie sich. Worte halfen hier nicht mehr.
    »Nein.«
    »Nicht?«
    »Du bist die erste Frau in dieser Hütte, seit ich hier wohne. Das sind vier Monate. Vier lange Monate.«
    »Hundertsechzig Tage«, bestätigte sie. Es überraschte sie, als das Korsett aufsprang. Warum begriff er diese fremden Dinge immer so schnell? Jetzt blieb ihr nur noch das Unterhemd, aber auch das wurde seine Beute. Sie hielt die Arme hoch, während er es ihr abstreifte, und bedeckte ihre Brüste, bevor er Gelegenheit hatte, genauer hinzuschauen. Sah sie mit ihrem hellen Körper und dem gebräunten Gesicht nicht schrecklich aus? Vielleicht war es doch besser, das Licht zu löschen, aber dazu würde sie einen Arm abspreizen müssen. Es war verzwickt.
    Er entdeckte die silberne Heria zwischen ihren Brüsten und packte die Kette. Grazia machte sich darauf gefasst, dass er sie ihr einfach vom Hals riss, aber er betrachtete das Schmuckstück nur eingehend und ließ es los. Eine Weile geschah nichts. Schließlich fing er an, seinen Gürtel zu lösen und das Gewand auszuziehen. Dankbar bemerkte sie, dass er es über seinen Schoß warf. Aber auch das würde nichts aufhalten. Er rutschte nah heran, sodass sie die Wärme, die er ausstrahlte, spüren konnte. Den feinen Duft des Waldes riechen, der ihm anhaftete. Und eine Spur des Blutes, das er vergossen hatte. War da nicht im Winkel seiner Nase etwas Blut? Bevor sie genauer

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