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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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er einen Spieß vom Fleisch.
    »Was soll sie denn sonst sein?«
    »Natürlich ist sie eine«, warf ein anderer ein.
    Anschar warf den Spieß ins Feuer, wischte die Finger an seinem Rock ab und griff in ihr Haar. Warum war er so grob? »Ist sie nicht! Oder habt ihr je so eine Farbe gesehen?« Da
die Männer sie immer noch zweifelnd anstarrten, zog er an ihrem Haar. »Sag etwas in deiner Sprache!«
    Was für eine entsetzliche Situation. Grazia zerrte ihre Strähnen aus seinen Fingern und zog die Beine an. Der Rand des Korsetts drückte schmerzhaft gegen ihr Becken. »Ich weiß nichts«, murmelte sie auf Deutsch und versuchte das Gewand über die Füße zu ziehen. Unter den glotzenden Blicken kam sie sich fast nackt vor. Wieder einmal wünschte sie sich sehnlichst nach Hause, in den Kreis ihrer Familie.
    Anschar neigte sich vor, um sie anzusehen. Plötzlich begriff sie: Er hasste die Vorstellung, diese Männer könnten glauben, er gebe sich mit einer Wüstenfrau ab. Aber war das ihr Problem? Ihre Schultern erbebten vor Entrüstung, und sie rückte ein Stück von ihm ab. Kurz schloss er die Lider, als täte es ihm leid.
    »Ihr habt’s gehört. Sie ist keine Wüstenfrau. Wartet es halt ab, bis ihr sie im Tageslicht seht. Im Übrigen, wenn ich das sage, soll es genügen. Oder ist hier jemand, der mit mir streiten will?«
    Alle senkten den Blick, auch Hadur. »Mit einem der Zehn? Bestimmt nicht.« Er räusperte sich und hob den Kopf. »Wie heißt du, Frau?«
    »Grazia Zimmermann«, antwortete sie steif.
    Fragend hob Anschar die Brauen. »Du hast einen zweiten Namen? Das wusste ich ja gar nicht. Was bedeutet er?«
    »Nun …« Sie musste nachdenken. Da sie das hiesige Wort nicht kannte, versuchte sie es zu umschreiben. »Ein Mann, der Sachen aus Holz baut.«
    »Wie?« Hadurs Kopf ruckte zurück, als sei eine Schlange herangeschossen. »Du bist gar keine Frau? Bei Hinarsyas Brüsten, du treibst deinen Spaß mit mir.« Ungezügelt ließ er den Blick an ihrem Leib herunterwandern, aber das unterließ er, als Anschar ihn scharf ansah.

    »Nein.« Sie schüttelte den Kopf. »Das ist der Name von meiner Familie.«
    »Einer Familie von Holzbauleuten?«
    »Mein Vater ist …« Grazia machte eine hilflose Geste. »Ich kann das nicht erklären.«
    »Lass sie in Ruhe, Hadur.« Anschar streckte die Hand aus. »Gib mir lieber ein scharfes Messer.«
    Hadur griff hinter sich und machte eine Bewegung, als wolle er ihm das Messer zuschleudern, sodass es sich zwischen Anschars Beinen in den Sand bohrte. Aber dann schien er sich darauf zu besinnen, dass man einen der Zehn mit so etwas nicht beeindrucken konnte, und er reichte es ihm mit dem Griff voran.
    »Danke.« Mit dem Daumen prüfte Anschar die Klinge und fing an, sich den Bart zu scheren. Er schnitt sich nicht, allerdings war das Ergebnis alles andere als eine ordentliche Rasur. Als er fertig war, strich er sich mit dem Handrücken die Haare herunter und schleuderte das Messer zwischen Hadurs Füße. »Jetzt zu euch. Wenn ich mich recht entsinne, hatte Mallayur einen doppelt so großen Trupp zusammengestellt, unter deiner Führung, Hadur. Warum seid ihr jetzt nur noch zu neunt? Und wo ist der Priester, der euch begleitete?«
    Hadur zuckte die muskelbepackten Schultern. »Scheint so, als hätte deinen Trupp das gleiche Schicksal ereilt wie meinen. Oder weshalb sonst bist du allein? Wir trafen westlich von hier auf eine Siedlung dieser Wüstenhunde. Der Priester wollte dem Dorfherrn seine Rede aufsagen, wo diese sagenhafte Oase denn wäre – na, das weißt du ja. Da fielen sie über uns her. Sie dachten, wir seien Sklavenhändler. Der Priester war der Erste, der einen Spieß in der Kehle hatte. Schande über mich, dass ich ihn nicht schützen konnte, wie es meine Aufgabe gewesen wäre. Wir wüteten unter ihnen wie der Schamindar, aber nur die Hälfte von uns schaffte es,
zu entkommen.« Er schob einen Ärmel hoch und offenbarte einen dicken, blutdurchtränkten Verband. »Ist nicht gerade eine Ehre, zukünftig eine Narbe zu tragen, die der Spieß eines Wüstenmannes geschlagen hat.«
    Er spuckte ins Feuer. Einige der Männer brummten Verwünschungen. Grazia, die fast alles verstanden hatte, fragte sich, warum sich diese Krieger für weniger barbarisch als die Wüstenmänner hielten. Bisher hatte sie keine großen Unterschiede festgestellt.
    Anschar neigte sich vor und legte die Arme auf die Knie. Ernst sah er Hadur an. »Bei uns war es nicht anders. Nur dass ich allein überlebte. Die

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