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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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und hielten Wache.
    »Hat dein erster Name auch eine Bedeutung?«, fragte er unvermittelt.

    »Ja.« Sie überlegte, wie sich die Anmutige in argadische Worte fassen ließ. »Mein Vater nannte mich nach drei schönen Göttinnen.«
    »Sagtest du nicht, ihr hättet nur einen Gott?«
    Sie nickte, aber das zu erklären, war ihr jetzt viel zu mühselig.
    »Schöne Göttinnen«, wiederholte er versonnen. »Fleckige Gesichter haben die aber nicht, oder? Hat es eigentlich mit deiner Hautkrankheit zu tun, dass du immer so darauf bedacht bist, deine Füße zu bedecken?«
    »Wie bitte?«
    »Die Flecken haben sich vermehrt.«
    Sie berührte ihre Wange. »Das kommt von der Sonne. Hier ist so viel Sonne. Das habe ich schon erklärt. Die Füße …« Fast unbewusst zog sie die Beine an. Er schien tatsächlich keine Ahnung zu haben. Nun, das war nicht weiter verwunderlich, er kam ja aus einem gänzlich anderen Kulturkreis. »Bei uns zeigt man die nicht. Schon die Fesseln gelten als … als …« Sie schwieg. Selbst in ihrer eigenen Sprache wäre sie jetzt ins Stocken geraten. »Unschicklich«, schloss sie auf Deutsch.
    »Unpraktisch«, meinte er. »Ich verstehe es nicht, aber das ist ja auch egal. Versuch jetzt zu schlafen, Feuerköpfchen.«

    Eine Hand presste sich auf ihren Mund und riss sie aus dem Schlaf. Anschar beugte sich über sie, blickte sie so eindringlich an, dass ihr angst und bange wurde, und legte einen Finger an die Lippen. Sie schluckte unter seinem harten Griff und nickte, als sie begriff: Sie musste leise sein. Er gab sie frei und bedeutete ihr, aufzustehen. Dann deutete er in Richtung des Nachtlagers. Das Feuer war bis auf einige glimmende Scheite heruntergebrannt, darum herum lagen die Männer und schnarchten. Die beiden, die Wache halten
sollten, lagen auf dem Boden. Hatte er sie etwa … Undenkbar! Oder doch?
    Anschar schüttelte langsam den Kopf, als sie ihn fragend ansah. »Das erkläre ich dir später«, flüsterte er kaum hörbar. »Komm.«
    Sie folgte ihm in die Dunkelheit, vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend. Als Anschar stehen blieb, sah sie auf. Vor ihr ragte eines dieser riesigen Sturhörner auf. Es war wie ein Berg.
    Da soll ich hinauf?, formte sie die Frage mit den Lippen. Er hielt eine vom Sattel herabbaumelnde Schlaufe vor ihre Nase. Das sollte wohl ein Steigbügel sein. Überfordert von dieser merkwürdigen Situation, zögerte sie und hätte vor Schreck fast aufgeschrien, als er sie an den Hüften packte und hochhob. Sie klammerte sich an die Satteldecke, ruderte mit dem Fuß, um die Schlaufe zu erwischen, und als sie es geschafft hatte, warf sie das andere Bein über die Kruppe des Tieres. Das Kleid rutschte ihr hinauf bis zu den Oberschenkeln. Wäre es nicht dunkel gewesen, hätte sie sich geweigert, ganz sicher.
    Vor sich ertastete sie einen Griff aus Grasgeflecht und hielt sich daran fest. Anschar nahm das Zaumzeug und führte das Tier äußerst bedächtig vom Lager fort. Immer wieder wandte er sich zur Feuerstelle um. In der rechten Hand hielt er das blankgezogene Schwert. Nun erst begriff Grazia, dass er die Männer als Feinde betrachtete. War ihr irgendetwas entgangen, während sie geschlafen hatte? Diese Kerle hatten sich raubeinig gebärdet, sie aber nicht bedroht. Und jetzt hatte Anschar zwei von ihnen getötet – im Schlaf! Ihr wurde übel vor Furcht, als sie daran dachte, was geschehen mochte, sollten die anderen aufwachen.
    Schlagartig wurde ihr klar, was es hieß, in einer barbarischen Welt gelandet zu sein. Und sie war Teil dieser Welt.

    Das Sturhorn bewegte sich träge und erstaunlich leise. Nur ab und zu schnaufte es vernehmlich. In mindestens zwanzig Lederschläuchen, die vom Sattelgriff hingen, gluckerte Wasser. Siedend heiß fiel ihr ein, dass sie ihre Sachen nicht bei sich hatte. »Halt!«, zischte sie und rüttelte am Griff. Das Tier beeindruckte das nicht; erst als Anschar am Zügel zog, blieb es stehen. Er warf den Kopf zurück. Selbst in der fahlen Düsternis konnte sie erkennen, dass er ungehalten war.
    »Meine Tasche«, flüsterte sie. »Ich habe meine Tasche vergessen!«
    Er schüttelte den Kopf.
    Sie machte Anstalten, abzusteigen. Blitzschnell hielt er sie mit einem harten Griff am Oberschenkel zurück.
    »Ich gehe nicht ohne meine Sachen«, sagte sie leise, aber so bestimmt wie möglich. »Wenn du sie nicht holst, tue ich das!«
    »Bist du von Sinnen?«
    Sie wollte nicht laut werden, daher knurrte sie ärgerlich wie eine Katze. Er stieß ein ergebenes

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