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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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können!«
    »Werde nicht kindisch. Jedenfalls weißt du jetzt, warum unmöglich Mallayur hinter Hadurs Absicht stecken kann, mich zu töten. Er ist ganz versessen darauf, einen der Zehn als Leibwächter zu haben.«
    »Und nur wegen dieser Wette musst du zu ihm gehen? Für immer? Das können sie von dir verlangen?«
    »Warum denn nicht? Gehorchen die Krieger ihren Herren in deinem Land etwa nicht?«
    Grazia schüttelte den Kopf, aber nur, weil sie es nicht hinnehmen konnte. So preußisch war sie einfach nicht. »Du kannst wirklich nichts dagegen tun?«
    »Nein, nichts. Mein eigener Wille existiert bei dieser unleidigen Sache nicht. Ich bin ein Sklave. So, jetzt weißt du es.«
    Sie starrte ihn an. Starrte in diese dunklen Augen, die ihr inzwischen so vertraut waren. Die sie über Monate begleitet hatten. Ihr Schutz gewährt hatten. Sie verstand es nicht – seine Abneigung gegen die Wüstenmenschen, sein überhebliches Verhalten den Sklaven gegenüber. Und jetzt sollte er selbst ein Sklave sein?
    »Aber … aber …«, zitternd hob sie eine Hand. »Du hast so schlimme Dinge über Mallayur gesagt. Wie er seine Sklaven behandelt. Dass er …«
    »Ich weiß, was ich gesagt habe!«, fiel er ihr heftig ins Wort. »Trotz allem bin ich nicht irgendein Sklave. Ich bin einer der Zehn. Also mach dir keine Sorgen.«
    Der Soldat räusperte sich.
    Sie spürte, dass ihre Lippen salzig schmeckten. Anschar legte die Hand an ihre Wange und wischte mit dem Daumen eine Träne fort, ganz so, wie er es bei ihrer ersten Begegnung getan hatte.

    »Es tut mir leid, ich hätte das nicht so lange verschweigen sollen. Erst dachte ich ja auch, du müsstest es erkennen – hieran«, er zupfte an seinem bronzenen Ohrhaken. »Nur Sklaven tragen solche Haken. Aber dann war mir schnell klar, dass du das nicht wissen kannst, und … es gefiel mir. Vielleicht verstehst du, dass es nichts ist, worüber ich dich gern aufgeklärt hätte. Henon ist wiederum mein Sklave, wie ich es sagte. Ich lasse ihn hier. Er soll nicht auch noch dort hinüber müssen.«
    Seinen Körper durchfuhr ein Schauer, sie spürte es an seinen Fingern. Plötzlich kamen ihm selbst die Tränen, und er atmete schwer. Jeden Augenblick, so schien es, würde er losschreien. »Henon«, sagte er kehlig. »Es schmerzt so sehr, ihn nicht mehr sehen zu dürfen.«
    Er ließ sie nicht los, doch er erkämpfte sich seine Beherrschung zurück. »Du kannst hier wohnen bleiben, das habe ich schon geklärt. Madyur wird dafür sorgen, dass es dir hier an nichts fehlt, und du kannst auch Türen oder was auch immer an den Ausgang anbringen lassen – du hast ja keinen Herrn, für den du jederzeit erreichbar sein musst. Eines noch: Solltest du einmal jemanden außerhalb des Palasts brauchen, geh zu Schelgiur.«
    »Kann ich nicht mit dir gehen?«, platzte sie heraus, erschrocken über sich selbst. Das hörte sich ja an, als wolle sie sich ihm an den Hals werfen. Ihre Mutter würde toben.
    »Zu Mallayur?« Er lachte freudlos. »Das vergiss ganz schnell.«
    »Das heißt, wir sehen uns jetzt tatsächlich zum letzten Mal?«
    »Weeßicknisch, Feuerköpfchen.«
    Nach einem Scherz war ihr nicht zumute. Immer noch schmiegte sich seine Hand an ihre Wange. Dann zog er sie an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem Haar. Starr stand sie
da, sich bewusst, dass es nur wenige Sekunden währen würde, ihn so zu spüren. Als er einen Schritt zurücktrat, schluchzte sie auf und drückte das Buch an seine Brust.
    »Nimm es.«
    Er hielt es fest. Wieder lächelte er, aber diesmal überzeugte es sie. »Danke. Pass auf dich auf.«
    Als er sich abwandte, stürzte sie hinaus auf die Terrasse. Hier konnte sie ungehemmt weinen.

7

    W enn einer der Zehn durch die Straßen ging, blieben die Menschen stehen und schenkten ihm ehrfürchtige Blicke. Das war bei ihm nicht anders, wenngleich hier und da Widerwillen aufblitzte – er war eben auch ein Sklave. Aber niemandem schien aufzufallen, dass Anschar von den beiden herschedischen Palastkriegern nicht begleitet, sondern abgeführt wurde. Er kam an der Abzweigung vorüber, die hinab in die schwebende Stadt führte, und schritt auf die weiß verputzte und mit Bildern aus der herschedischen Geschichte bemalte Umfassungsmauer des Herrscherpalastes zu. Hier herrschte ein Kommen und Gehen, nicht anders als vor dem Palast des Meya. Edle Männer aus ganz Hersched und Argad, in kostbaren Seidenmänteln und Federkappen, die in Rot, Türkis und vielerlei anderen Farben leuchteten, belagerten

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