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Das gläserne Tor

Titel: Das gläserne Tor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Wassermann
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Monaten verstand sie kein Wort, aber jetzt könnte man sie fast für eine Argadin halten. Ihr Akzent ist jedenfalls inzwischen weniger auffällig als ihr Aussehen.«
    »Erstaunlich, erstaunlich«, murmelte der König, besah sich das Buch noch einmal von allen Seiten und gab es ihr zurück. »Wie hast du das geschafft, Frau?«
    »Mit preußischer Disziplin, würde mein Vater sagen. Und meine Mutter würde sagen, damit hätte ich es in der halben Zeit schaffen müssen.«
    »Ich verstehe«, erwiderte er, sah aber so aus, als habe er kein Wort verstanden. »Frau, du bist interessant. Nachher wirst du in der großen Halle zum Abendessen erscheinen, damit mein Hofstaat auch etwas von dir hat. So eine exotische Blume muss man vorzeigen.«
    Exotisch? Sie? Grazia schluckte, um nicht loszuprusten. Hoffentlich blamierte sie sich bei diesem Essen nicht. Zum Dank machte sie einen Knicks, aber Madyur achtete nicht
mehr auf sie. Schwere Schritte näherten sich. Drei gerüstete und mit Schwertern bewaffnete Männer tauchten im Eingang auf. Anschar war sofort vor seinen König getreten und hatte Grazia neben ihn an die Wand geschoben. Er hatte sein Schwert nicht zur Hand, aber seine breitbeinige Haltung wirkte auch so bedrohlich genug. Auch der andere Leibwächter stand abwehrbereit da. Erst als sich die Soldaten verneigten, traten die beiden Männer zur Seite.
    Der König wirkte überrascht, gestattete ihnen jedoch mit einem Wink, näher zu treten. Sie sagten kein Wort. Er schien zu wissen, was ihr Auftauchen bedeutete.
    »Mein Bruder hat es ja verdammt eilig, seinen Gewinn einzufordern«, brummte er und fauchte die Männer an, sodass sie zusammenzuckten. »Glaubt er etwa, dafür sei eine Eskorte nötig? Natürlich, es gefällt ihm, einen der Zehn wie einen Verbrecher abzuführen. Damit es auch ja die halbe Stadt sieht! Dafür wasche ich ihm mit Nägeln den Kopf, das könnt ihr ihm ausrichten.« Er stieß einen ohrenbetäubenden Laut aus. »Bei Inar, nie hätte ich gedacht, dass ich wirklich und wahrhaftig meinen besten Mann an ihn verliere. Na schön, was sein muss, muss sein. Anschar, bist du bereit?«
    Tief atmete Anschar ein. »Ja, Herr.«
    »Dann geh. Das Drama des Abschieds wollen wir uns ersparen. Mögen die Götter über dich wachen.«
    Gehen? Mit diesen Soldaten?
    Grazias Magen krampfte sich zusammen.
    »Verzeihung!«, rief sie und reckte den Kopf, um die Aufmerksamkeit des Königs zu gewinnen. »Darf ich fragen, wovon du sprichst?«
    Ein wenig fürchtete sie sich davor, dass Anschar sie wieder anfuhr, wie er es in Tuhrods Zelt getan hatte. Aber das war ihr auf einmal gleichgültig. Er hätte ihr beizeiten sagen sollen, was ihn bedrohte.

    »Platzen die Frauen in deinem Land auch einfach so dazwischen?«, fragte Madyur, um sich sogleich wieder an Anschar zu wenden. »Du hast es ihr nicht gesagt? Na gut, das ist nicht meine Sache. Ich habe hier schon genug Zeit vertrödelt.« Er warf die Hände auf die Schenkel und erhob sich. Die Soldaten machten ihm eilends Platz, als er zu Anschar trat. »Mach mir drüben keine Schande, ja?«
    Anschar war wie erstarrt. Madyur klopfte ihm auf die Schulter und verließ die Wohnung. Sein Leibwächter warf einen kurzen Blick zurück zu Anschar, aus dem Bedauern sprach. Zwei der Soldaten nahmen am Ausgang Aufstellung. Der dritte näherte sich Anschar und sagte durchaus freundlich: »Wir haben Befehl. Du musst uns sofort begleiten.«
    »Anschar …« Grazia presste das Buch an sich, als könne es sie vor dem bewahren, was jetzt kam. Was immer es war. »Was hast du getan?«
    »Nichts.« Er ging zu ihr, hob unschlüssig die Hand, wie um sie zu berühren, dann blickte er kurz über die Schulter zu den wartenden Männern. »Die Zeit, mich zu verabschieden, habe ich doch, oder?«
    Der Soldat nickte.
    »Kommst du wieder?«, fragte Grazia.
    »Nein.«
    »Großer Gott.« Sie schlug die Hand vor den Mund.
    »Dafür dürfte dein Gott nicht groß genug sein.« Er versuchte zu lächeln, aber es misslang. »Ich hätte es dir erklärt, dachte aber, mehr Zeit zu haben. Erst habe ich es verdrängt, und dann … ach.« Er winkte ab. »Madyur und Mallayur hatten eine Wette abgeschlossen. Mallayur hatte ihm vorgeschlagen, wessen Suchtrupp versagt, der muss dem andern seinen besten Krieger geben. Und der von Madyur hat versagt, wie du wohl weißt.«
    »Der andere auch.«

    »Das nützt mir nichts. Noch hat er sein Versagen nicht bewiesen. Ich hingegen schon.«
    »Aber dann hätten wir doch irgendwo warten

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