Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
Liebhaberei oder Bildungseitelkeit zu tun, nichts mit Wichtigtuerei, noch auch mit Aberglauben. Bei euch Waldzeller Repetenten liegt die Zukunft des Spiels. Da es das Herz und Innerste von Kastalien ist, ihr aber das Innerste und Lebendigste unsrer Siedlung, seid ihr recht eigentlich das Salz der Provinz, ihr Geist, ihre Unruhe. Es besteht keine Gefahr, daß eure Zahl zu groß, euer Eifer zu heftig, eure Leidenschaft für das herrliche Spiel zu heiß werden könnte; steigert sie, steigert sie! Es besteht für euch, wie für alle Kastalier, im Grunde nur eine einzige Gefahr, vor der wir alle und jeden Tag auf der Hut sein müssen. Der Geist unsrer Provinz und unsres Ordens ist auf zwei Prinzipien gegründet: auf die Objektivität und Wahrheitsliebe im Studium, und auf die Pflege der meditativen Weisheit und Harmonie. Die beiden Prinzipien im Gleichgewicht halten, heißt für uns: weise und unsres Ordens würdig sein. Wir lieben die Wissenschaften, ein jeder die seine, und wissen doch, daß die Hingabe an eine Wissenschaft einen Mann nicht unbedingt vor Eigennutz, Laster und Lächerlichkeit zu schützen vermag, die Geschichte ist voll von Beispielen, die Figur des Doktor Faust ist die literarische Popularisierung dieser
Gefahr. Andere Jahrhunderte suchten Zuflucht bei der Vereinigung von Geist und Religion, von Forschung und Askese, in ihrer Universitas Litterarum regierte die Theologie. Bei uns ist es die Meditation, die vielfach gestufte Yoga-Praxis, mit der wir das Tier in uns und den in jeder Wissenschaft hausenden Diabolus zu bannen suchen. Nun, ihr wißt so gut wie ich, daß auch das Glasperlenspiel seinen Diabolus in sich stecken hat, daß es zur leeren Virtuosität, zum Selbstgenuß künstlerhafter Eitelkeit, zur Streberei, zum Erwerb von Macht über andere und damit zum Mißbrauch dieser Macht führen kann. Darum bedürfen wir noch einer andern Erziehung als der intellektuellen und haben uns der Moral des Ordens unterstellt, nicht um unser geistig aktives Leben in ein seelischvegetatives Traumleben umzubiegen, sondern im Gegenteil um geistiger Höchstleistungen fähig zu sein. Wir sollen nicht aus der Vita activa in die Vita contemplativa fliehen, noch umgekehrt, sondern zwischen beiden wechselnd unterwegs sein, in beiden zu Hause sein, an beiden teilhaben.«
Wir haben Knechts Worte, deren viele ähnliche von Schülern aufgezeichnet und erhalten sind, wiedergegeben, weil sie seine Auffassung vom Amt, wenigstens in den ersten Jahren seines Magistrats, so klar beleuchten. Daß er ein hervorragender Lehrer war (anfänglich übrigens zu seiner eigenen Verwunderung), zeigt uns schon die auffallend große Zahl
der auf uns gekommenen Nachschriften seiner Vorträge. Es gehörte zu den Entdeckungen und Überraschungen, die sein hohes Amt ihm schon von Anfang an brachte, daß das Lehren ihm so viel Freude machte und so leicht gelang. Er hätte es nicht gedacht, denn bisher hatte er nach einer Lehrtätigkeit sich eigentlich nie gesehnt. Wohl hatte er, wie jeder aus der Elite, schon als älterer Student je und je Lehraufträge für kurze Dauer erhalten, hatte vertretungsweise in den Glasperlenspielkursen verschiedener Stufen unterrichtet, noch häufiger den Teilnehmern solcher Kurse als Korrepetitor gedient, doch waren ihm damals die Freiheit des Studierens und die einsame Konzentration auf seine jeweiligen Studiengebiete so lieb und wichtig gewesen, daß er, obwohl schon damals als Lehrer geschickt und beliebt, diese Aufträge eher als unerwünschte Störungen betrachtet hatte. Schließlich hatte er ja auch im Benediktinerstift Kurse gehalten, aber die waren freilich von geringer Bedeutung an sich und von ebenso geringer für ihn gewesen; an jenem Orte hatte für ihn das Lernen bei Pater Jakobus und der Umgang mit ihm alle andere Arbeit zur Nebensache werden lassen. Ein guter Schüler zu sein, zu lernen, aufzunehmen und sich zu bilden, war damals sein oberstes Streben gewesen. Nun war aus dem Schüler ein Lehrer geworden, und als Lehrer vor allem hatte er die große Aufgabe seiner ersten Amtszeit bewältigt, den Kampf um die Auto
rität und um die genaue Identifizierung von Person und Amt. Es waren zwei Entdeckungen, die er dabei machte: die Freude, welche es bereitet, geistig Erworbenes in andere Geister zu verpflanzen und es dabei zu ganz neuen Erscheinungsformen und Ausstrahlungen sich wandeln zu sehen, also die Freude am Lehren, und dann das Kämpfen mit den Persönlichkeiten der Studenten und Schüler, das Erwerben
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