Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
erschloß. Zwar hatte er dieser Elite und Repetentenschaft, diesem ebenso musischen wie ehrgeizigen Spielerdorf in Waldzell, manche Jahre angehört und hatte sich durchaus als ein
Teil davon empfunden. Jetzt aber war er nicht mehr nur irgendein Teil, lebte nicht nur mit dieser Gemeinschaft innig mit, sondern er empfand sich nun wie das Gehirn, wie das Bewußtsein und auch wie das Gewissen dieser Gemeinschaft, deren Regungen und Schicksale nicht nur miterlebend, sondern sie leitend und für sie verantwortlich. In einer gehobenen Stunde, am Schluß eines Kurses zur Ausbildung von Spiellehrern für Anfänger, hat er es einmal so ausgesprochen: »Kastalien ist ein kleiner Staat für sich, und unser Vicus Lusorum ein Städtchen innerhalb des Staates, eine kleine, aber alte und stolze Republik, ihren Schwestern gleichgeordnet und gleichberechtigt, aber in ihrem Selbstbewußtsein bestärkt und gehoben durch die besondere musische und gewissermaßen sakrale Art ihrer Funktion. Denn wir sind ja durch die Aufgabe ausgezeichnet, das eigentliche Heiligtum Kastaliens, sein einzigartiges Geheimnis und Symbol, zu hüten, das Glasperlenspiel. Kastalien erzieht vorzügliche Musiker und Kunsthistoriker, Philologen, Mathematiker und andre Gelehrte. Jedes kastalische Institut und jeder Kastalier sollte nur zwei Ziele und Ideale kennen: in seinem Fache das möglichst Vollkommene zu leisten und sein Fach und sich selbst dadurch lebendig und elastisch zu erhalten, daß er es beständig mit allen andern Disziplinen verbunden und allen innig befreundet weiß. Dieses zweite Ideal, der Gedanke der in
neren Einheit aller geistigen Bemühungen des Menschen, der Gedanke der Universalität, hat in unsrem erlauchten Spiel seinen vollkommenen Ausdruck gefunden. Mag vielleicht für den Physiker oder Musikhistoriker oder irgendeinen anderen Gelehrten ein strenges und asketisches Beharren bei seinem Fache zuzeiten geboten und ein Verzicht auf den Gedanken der Universalbildung der momentanen, speziellen Höchstleistung förderlich sein – wir jedenfalls, wir Glasperlenspieler, dürfen diese Beschränkung und Selbstgenügsamkeit niemals gutheißen und üben, denn gerade unsere Aufgabe ist es ja, den Gedanken der Universitas Litterarum und seinen höchsten Ausdruck, das edle Spiel, zu hüten und immer wieder vor der Neigung der Einzeldisziplinen zur Selbstgenügsamkeit zu retten. Aber wie können wir etwas retten, was nicht selber den Wunsch hätte, gerettet zu werden? Und wie können wir den Archäologen, den Pädagogen, den Astronomen und so weiter zwingen, auf ein selbstgenügsames Fachgelehrtentum zu verzichten und immer wieder ihre Fenster gegen alle andern Disziplinen zu öffnen? Wir können es nicht durch Zwangsvorschriften, indem wir etwa das Glasperlenspiel schon in den Schulen zum offiziellen Lehrfach machen, und wir können es auch nicht durch die bloße Erinnerung an das, was unsre Vorgänger mit diesem Spiel gemeint haben. Wir können unser Spiel und uns selbst nur dadurch als unent
behrlich ausweisen, daß wir es stets auf der Höhe des gesamten geistigen Lebens halten, daß wir jede neue Errungenschaft, jede neue Blickrichtung und Fragestellung der Wissenschaften uns wachsam aneignen und daß wir unsre Universalität, unser edles und auch gefährliches Spiel mit dem Gedanken der Einheit immer neu und immer wieder so hold, so überzeugend, so verlockend und reizvoll gestalten und betreiben, daß auch der ernsteste Forscher und fleißigste Fachmann immer wieder seinen Mahnruf, seine Verführung und Lockung empfinden muß. Stellen wir uns einmal vor, wir Spieler würden einige Zeit mit geringerem Eifer arbeiten, die Spielkurse für Anfänger würden langweiliger und oberflächlicher, in den Spielen für Fortgeschrittene würden die Fachgelehrten das lebendig pulsierende Leben, die geistige Aktualität und Interessantheit vermissen, unser großes Jahresziel würde zwei-, dreimal nacheinander von den Gästen als leere Zeremonie, als unlebendig, als altmodisch, als zopfisches Relikt der Vergangenheit empfunden – wie rasch wäre es da mit dem Spiel und mit uns zu Ende! Wir sind ja schon jetzt nicht mehr auf der glänzenden Höhe, auf der das Glasperlenspiel vor einem Menschenalter stand, wo das Jahresspiel nicht eine oder zwei, sondern drei und vier Wochen dauerte und nicht nur für Kastalien, sondern für das ganze Land der Höhepunkt des Jahres war. Heute wohnt diesem Jahresspiel noch ein Vertre
ter der Regierung bei, oft genug als ein eher
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