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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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und Ausüben der Autorität und Führerschaft, also die Freude am Erziehen. Er hat beides nie getrennt, und während seines Magistrates hat er nicht nur eine große Zahl guter und bester Glasperlenspieler herangebildet, sondern auch einen großen Teil seiner Schüler durch Beispiel und Vorbild, durch Mahnung, durch seine strenge Art von Geduld, durch die Kraft seines Wesens als Menschen und Charakter zum Besten entwickelt, dessen sie fähig waren.
    Dabei hat er, wenn uns hier ein Vorwegnehmen erlaubt ist, eine charakteristische Erfahrung gemacht. Im Anfang seiner Amtstätigkeit hatte er es ausschließlich mit der Elite zu tun, mit der obersten Schicht seiner Schülerschaft, mit Studenten und Repetenten, deren manche ihm an Alter gleich und deren jeder schon ein durchgebildeter Spieler war. Erst allmählich, als er der Elite sicher war, begann er ihr langsam und vorsichtig von Jahr zu Jahr etwas mehr an Kraft und an Zeit zu entziehen, bis er am Ende sie zeitweilig beinahe ganz seinen Vertrauensmännern und Mit
arbeitern überlassen konnte. Der Vorgang dauerte Jahre, und von einem Jahr zum andern drang Knecht in den Vorträgen, Kursen und Übungen, die er leitete, zu immer ferneren, jüngeren Schichten der Schülerschaft zurück, zuletzt hat er sogar, was selten ein Magister Ludi tat, mehrere Male persönlich die Anfängerkurse für die Jüngsten, für Schüler also und noch nicht Studenten, abgehalten. Und dabei fand er, je jünger und unwissender seine Schüler waren, desto mehr Freude am Lehren. Manchmal bereitete es ihm im Laufe dieser Jahre geradezu Unbehagen und kostete ihn eine spürbare Anstrengung, von diesen Jungen und Jüngsten zu den Studenten oder gar zur Elite zurückzukehren. Ja zuweilen empfand er den Wunsch, noch weiter zurückzugehen und sich an noch jüngeren Schülern zu versuchen, an solchen, für die es noch keine Kurse und kein Glasperlenspiel gab; er konnte sich etwa wünschen, eine Weile in Eschholz oder an einer der andern Vorbereitungsschulen kleine Knaben im Latein, im Singen oder in der Algebra zu unterrichten, wo es weit weniger geistvoll zuging als selbst im allerersten Anfängerkurs des Glasperlenspiels, wo er es aber mit noch offeneren, bildsameren, erziehbareren Schülern zu tun haben würde, wo Unterrichten und Erziehen noch mehr und inniger eins waren. In den letzten beiden Jahren seines Magisteramtes hat er sich zweimal in Briefen als »Schulmeister« bezeichnet, daran erinnernd, daß der Ausdruck
Magister Ludi, der seit Generationen in Kastalien nur noch »Meister des Spieles« bedeutete, ursprünglich einfach das Prädikat des Schulmeisters war.
    Es war nun allerdings von einer Erfüllung solcher Schulmeisterwünsche nicht die Rede, sie waren Träume, so wie jemand am graukalten Wintertag sich einen Hochsommerhimmel träumen mag. Für Knecht war kein Weg mehr offen, seine Pflichten waren durch das Amt bestimmt, aber da das Amt die Art, wie er diese Pflichten erfüllen wollte, sehr weitgehend seiner eigenen Verantwortung überließ, hat er im Lauf der Jahre, anfangs wohl ganz unbewußt, allmählich sein Hauptinteresse mehr und mehr dem Erziehen und den frühesten ihm erreichbaren Altersstufen zugewandt. Je älter er wurde, desto mehr zog die Jugend ihn an. So dürfen wir heute wenigstens sagen. Damals hätte ein Kritiker Mühe gehabt, irgendwo in seiner Amtsführung etwas wie Liebhaberei und Willkür aufzuspüren. Auch zwang ihn ja das Amt, immer und immer wieder zur Elite zurückzukehren, und auch in Zeiten, da er Seminare und Archive beinahe ganz seinen Helfern und seinem »Schatten« überließ, hielten langdauernde Arbeiten wie zum Beispiel die jährlichen Spielwettbewerbe oder das Vorbereiten des öffentlichen Jahresspiels ihn in lebendiger und täglicher Fühlung mit der Elite. Zu seinem Freunde Fritz hat er einmal scherzend gesagt: »Es hat Fürsten gegeben, die sich zeitlebens
mit einer unglücklichen Liebe zu ihren Untertanen geplagt haben. Ihr Herz zog sie zu den Bauern, den Schäfern, den Handwerkern, den Schullehrern und Schulkindern, aber selten bekamen sie etwas von ihnen zu sehen, sie waren immer von ihren Ministern und Offizieren umgeben, sie standen wie eine Mauer zwischen ihnen und dem Volk. So geht es einem Magister auch. Er möchte zu den Menschen und sieht nur Kollegen, er möchte zu den Schülern und Kindern und sieht nur Studierte und Leute der Elite.«
    Aber wir haben weit vorgegriffen und kehren in die Zeit von Knechts ersten Amtsjahren zurück. Nach der

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