Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
Beinahe ungläubig blickte der andre ihn an, tief über
rascht und auf eine köstliche Art beunruhigt schon durch den munteren Ton und das lächelnde Gesicht des Freundes, den er nur noch als Herrn und Magister gekannt hatte. Gerührt und freudig empfand er nicht bloß die Ehre und das Vertrauen, welche in diesem Vorschlag sich ausdrückten, sondern begriff und ergriff vor allem die Bedeutung dieser schönen Gebärde; sie war ein Versuch zur Heilung, ein Wiederaufschließen der zugefallenen Tür zwischen dem Freunde und ihm. Knechts Bedenken wegen des Chinesischen nahm er leicht und erklärte sich ohne weiteres bereit, sich dem Ehrwürdigen und der Ausarbeitung seines Spieles ganz und gar zur Verfügung zu stellen. »Gut«, sagte der Magister, »ich nehme dein Versprechen an. So werden wir also zu gewissen Stunden wieder Arbeits- und Studiengenossen sein wie einst in jenen so merkwürdig fern scheinenden Zeiten, wo wir manches Spiel gemeinsam durchgearbeitet und durchgekämpft haben. Es freut mich, Tegularius. Und nun mußt du dir vor allem das Verständnis für die Idee erwerben, auf die ich das Spiel aufbauen will. Du mußt verstehen lernen, was ein chinesisches Haus ist und was die Regeln bedeuten, die für seinen Bau vorgeschrieben sind. Ich gebe dir eine Empfehlung an das ostasiatische Studienhaus mit, dort wird man dir helfen. Oder – es fällt mir noch etwas anderes, Hübscheres ein – wir könnten es mit dem Älteren Bruder versuchen, dem Mann
im Bambusgehölz, von dem ich dir damals so viel erzählt habe. Vielleicht ist es unter seiner Würde oder eine zu große Störung für ihn, sich mit jemand einzulassen, der kein Chinesisch versteht, aber versuchen sollten wir es doch. Wenn er will, so ist dieser Mann imstande, einen Chinesen aus dir zu machen.«
Es erging eine Botschaft an den Älteren Bruder, die ihn herzlich einlud, für eine Weile als Gast des Glasperlenspielmeisters nach Waldzell zu kommen, da diesem sein Amt zu einem Besuch keine Zeit lasse, und ihn über den Dienst, den man von ihm begehrte, unterrichtete. Der Chinese jedoch verließ das Bambusgehölz nicht, der Bote brachte statt seiner ein Briefchen mit, mit Tusche in chinesischen Zeichen gemalt, darin stand: »Ehrenvoll wäre es, den großen Mann zu sehen. Aber Gehen führt in Hemmnisse. Zwei Schüsselchen benutze man zum Opfer. Den Erhabenen grüßt der Jüngere.« Daraufhin brachte Knecht seinen Freund nicht ohne Mühe zu dem Entschluß, selbst nach dem Bambusgehölz zu reisen und um Aufnahme und Belehrung zu bitten. Doch blieb die kleine Reise ohne Erfolg. Der Einsiedler im Gehölz empfing Tegularius mit einer beinahe unterwürfigen Höflichkeit, ohne aber eine einzige von dessen Fragen anders als mit freundlichen Sentenzen in chinesischer Sprache zu beantworten und ohne ihn zum Bleiben einzuladen, trotz dem auf schönes Papier gemalten prachtvollen Empfehlungsschreiben von der
Hand des Magister Ludi. Unverrichteter Dinge und eher verstimmt kehrte Fritz nach Waldzell heim, brachte als Geschenk für den Magister ein Blättchen zurück, auf das ein alter Vers über einen Goldfisch gepinselt war, und mußte nun also doch im Haus der ostasiatischen Studien sein Heil versuchen. Hier waren die Empfehlungen Knechts wirksamer, man war dem Bittsteller, dem Abgesandten eines Magisters, auf das gefälligste behilflich, und bald hatte er sich über sein Thema so vollkommen unterrichtet, wie es ohne Chinesisch irgend möglich war, und fand dabei an Knechts Einfall, diese Haus-Symbolik seinem Plan zugrunde zu legen, eine solche Freude, daß er seinen Mißerfolg im Bambusgehölze darüber verschmerzte und vergaß.
Als Knecht den Bericht des Abgewiesenen über seinen Besuch beim Älteren Bruder anhörte, und als er dann für sich allein den Goldfischvers las, berührten ihn die Atmosphäre dieses Menschen und die Erinnerung an seinen einstigen Aufenthalt in dessen Hütte beim wehenden Bambus und bei den Schafgarbenstengeln mit eindringlicher Stärke, Erinnerung zugleich an Freiheit, Muße, Studentenzeit und buntes Paradies der Jugendträume. Wie hatte dieser tapfre schrullige Einsiedler es verstanden, sich zurückzuziehen und freizuhalten, wie hielt sein stilles Bambusgehölz ihn vor der Welt verborgen, wie innig und stark lebte er in seinem zur zweiten Natur geworde
nen, reinlichen, pedantischen und weisen Chinesentum, wie geschlossen, konzentriert und dicht hielt der Zauber seines Lebenstraumes ihn Jahr um Jahr und Jahrzehnt um Jahrzehnt umfangen,
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