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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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besten Systeme und Denkmethoden.
    Der Regenmacher gehörte zwar zu den wenigen, welche einen Beruf ausübten, eine spezielle Kunst und Fähigkeit eigens ausgebildet hatten, doch war sein Alltagsleben von dem aller andern nach außen hin nicht so sehr verschieden. Er war ein hoher Beamter und genoß Ansehen, erhielt auch Abgaben und Lohn vom Stamm, sooft er für die Allgemeinheit zu tun hatte, doch kam dies nur bei besonderen Anlässen vor. Seine weitaus wichtigste und feierlichste, ja heilige Funktion war es, im Frühling für jede Art von Frucht und Kraut den Tag der Aussaat zu bestimmen; dies tat er unter genauer Berücksichtigung des Mondstandes teils nach ererbten Regeln, teils nach der eigenen Erfahrung. Die feierliche Handlung der Saateröffnung selbst, das Ausstreuen der ersten Handvoll Korn und Samen ins Gemeindeland, gehörte aber schon nicht mehr zu seinem Amt, so hoch stand
kein Mann im Range; es wurde alljährlich von der Ahnmutter selbst oder deren ältester Verwandten vollzogen. Zur wichtigsten Person des Dorfes wurde der Meister in jenen Fällen, wo er wirklich als Wettermacher zu amten hatte. Dies geschah, wenn eine lange Trockenheit, Nässe oder Kälte die Felder belagerte und den Stamm mit Hungersnot bedrohte. Dann hatte Turu die Mittel anzuwenden, die man gegen Dürre und Mißwachs kannte: Opfer, Beschwörungen, Bittgänge. Der Sage nach gab es, wenn bei hartnäckiger Trockenheit oder endlosem Regen alle anderen Mittel versagten und die Geister durch kein Zureden, Flehen oder Drohen umzustimmen waren, noch ein letztes unfehlbares Mittel, das zu Zeiten der Mütter und Großmütter des öfteren sollte angewandt worden sein: die Opferung des Wettermachers selbst durch die Gemeinde. Die Ahnmutter, sagte man, habe dies noch erlebt und mitangesehen.
    Außer der Sorge um das Wetter hatte der Meister noch eine Art privater Praxis, als Geisterbeschwörer, als Anfertiger von Amuletten und Zaubermitteln und in gewissen Fällen als Arzt, soweit dies nicht der Ahnmutter vorbehalten war. Im übrigen aber lebte Meister Turu das Leben jedes andern. Er half, wenn die Reihe an ihn kam, das Gemeindeland bestellen und hatte bei der Hütte auch seinen eigenen kleinen Pflanzgarten. Er sammelte Früchte, Pilze, Brennholz und bewahrte sie auf. Er fischte und jagte und hielt
eine Ziege oder zwei. Als Bauer war er gleich jedem andern, als Jäger, Fischer und Kräutersucher aber war er nicht gleich irgendeinem andern, sondern war ein Einzelgänger und Genie und stand im Ruf, eine Menge von natürlichen und magischen Listen, Griffen, Vorteilen und Hilfsmitteln zu kennen. Einer von ihm geflochtenen Weidenschlinge, hieß es, konnte kein gefangenes Tier wieder entrinnen, die Fischköder wußte er durch besondere Mittel duftend und schmackhaft zu machen, er verstand es, die Krebse an sich zu locken, und es gab Leute, welche glaubten, daß er auch die Sprache mancher Tiere verstehe. Sein eigentlichstes Gebiet aber war doch das seiner magischen Wissenschaft: das Beobachten des Mondes und der Sterne, die Kenntnis der Wetterzeichen, das Vorgefühl für Witterung und Wachstum, die Beschäftigung mit allem, was als Hilfsmittel magischer Wirkungen diente. So war er groß als Kenner und Sammler von jenen Gebilden der Pflanzen- und Tierwelt, welche als Heilmittel und als Gifte, als Träger von Zauber, als Segen und Schutzmittel gegen die Unheimlichen dienen konnten. Er kannte und fand ein jedes Kraut, auch das seltenste, er wußte, wo und wann es blühe und Samen trage, wann es Zeit sei, seine Wurzel zu graben. Er kannte und fand alle Arten von Schlangen und Kröten, wußte mit der Verwendung von Hörnern, Hufen, Klauen, Haaren Bescheid, kannte sich mit den Verwachsungen, Mißbil
dungen, Spuk- und Schreckformen aus, den Knollen, Kröpfen und Warzen am Holz, am Blatt, am Korn, an der Nuß, am Horn und Huf.
    Knecht hatte mehr mit den Sinnen, mehr mit Fuß und Hand, mit Auge, Hautgefühl, Ohr und Geruchsinn zu lernen als mit dem Verstand, und Turu lehrte weit mehr durch Beispiel und Zeigen als durch Worte und Lehren. Es war selten, daß der Meister überhaupt zusammenhängend sprach, und auch dann waren die Worte nur ein Versuch, seine außerordentlich eindrücklichen Gebärden noch zu verdeutlichen. Knechts Lehre war wenig verschieden von der Lehre, welche etwa ein junger Jäger oder Fischer bei einem guten Meister durchmacht, und sie machte ihm große Freude, denn er lernte nur, was schon in ihm lag. Er lernte lauern, lauschen, sich

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