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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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anschleichen, beobachten, auf der Hut sein, wach sein, schnuppern und spüren; aber das Wild, auf das er und sein Meister lauerten, war nicht nur Fuchs und Dachs, Otter und Kröte, Vogel und Fisch, sondern der Geist, das Ganze, der Sinn, der Zusammenhang. Das flüchtige, launische Wetter zu bestimmen, zu erkennen, zu erraten und vorauszuwissen, den in Beere und Schlangenbiß bereitliegenden Tod zu kennen, das Geheimnis zu belauschen, nach welchem die Wolken und die Stürme mit den Zuständen des Mondes zusammenhingen und auf Saat und Wachstum ebenso einwirkten wie auf Gedeihen und Verderb des Lebens in
Mensch und Tier, darauf waren sie aus. Sie strebten dabei wohl eigentlich nach demselben Ziel, wie die Wissenschaft und Technik späterer Jahrtausende es tat, nach dem Beherrschen der Natur und dem Spielenkönnen mit ihren Gesetzen, aber sie taten es auf einem vollkommen anderen Wege. Sie trennten sich nicht von der Natur und suchten in ihre Geheimnisse nicht gewaltsam einzudringen, sie waren nie der Natur entgegengesetzt und feindlich, immer ein Teil von ihr und ihr mit Ehrfurcht hingegeben. Es ist wohl möglich, daß sie sie besser kannten und klüger mit ihr umgingen. Eines aber war ihnen ganz und gar unmöglich, nicht einmal in den verwegensten Gedanken: der Natur und der Geisterwelt ohne Angst zugetan und untertan zu sein oder sich gar ihr überlegen zu fühlen. Diese Hybris war ihnen undenkbar, und zu den Mächten der Naturkräfte, zum Tod, zu den Dämonen ein andres Verhältnis als das der Angst zu haben, wäre ihnen unmöglich erschienen. Die Angst stand beherrschend über dem Leben der Menschen. Sie zu überwinden schien unmöglich. Aber sie zu sänftigen, sie in Formen zu bannen, zu überlisten und zu maskieren, sie ins Ganze des Lebens einzuordnen, dazu dienten die verschiedenen Systeme der Opfer. Die Angst war der Druck, unter dem das Leben dieser Menschen stand, und ohne diesen hohen Druck hätte ihrem Leben zwar der Schrecken, aber auch die Intensität gefehlt. Wem es gelang, einen Teil
der Angst in Ehrfurcht zu veredeln, der hatte viel gewonnen, Menschen dieser Art, Menschen, deren Angst zu Frömmigkeit geworden war, waren die Guten und Vorgeschrittenen jenes Zeitalters. Geopfert wurde viel und in vielen Formen, und ein gewisser Teil dieser Opfer und ihrer Riten gehörte zum Amtsbereich des Wettermachers.
    Neben Knecht wuchs in der Hütte die kleine Ada auf, ein hübsches Kind, des Alten Liebling, und als diesem die Zeit gekommen schien, gab er sie seinem Schüler zur Frau. Knecht galt von jetzt an als des Regenmachers Gehilfe, Turu stellte ihn der Dorfmutter als seinen Schwiegersohn und Nachfolger vor und ließ sich von da an in manchen Verrichtungen und Amtshandlungen von ihm vertreten. Allmählich, mit den Jahreszeiten und Jahren, versank der alte Regenmacher ganz in die einsame Beschaulichkeit der Greise und überließ ihm sein ganzes Amt, und als er starb – man fand ihn tot am Herdfeuer hocken, über einige Töpfchen mit magischem Gebräu gebückt, das weiße Haar vom Feuer angesengt –, da war schon seit langem der Junge, der Schüler Knecht, dem Dorfe als Regenmacher bekannt. Er verlangte vom Dorfrat ein ehrenvolles Begräbnis für seinen Lehrmeister und verbrannte über seinem Grabe als Opfer eine ganze Last von edlen und köstlichen Heilkräutern und Wurzeln. Auch dies war längst vergangen, und unter Knechts Kindern, deren schon mehrere die Hütte
Adas eng machten, gab es einen Knaben namens Turu: in seiner Gestalt war der Alte von der Todesfahrt zum Monde wiedergekehrt.
    Es erging Knecht, wie es vorzeiten seinem Lehrer ergangen war. Ein Teil seiner Angst ward zu Frömmigkeit und zu Geist. Ein Teil seines jugendlichen Strebens und seiner tiefen Sehnsucht blieb lebendig, ein Teil starb dahin und verlor sich im Älterwerden in der Arbeit, in der Liebe und Sorge für Ada und die Kinder. Immer galt seine größte Liebe und angelegentlichste Forschung dem Monde und seinem Einfluß auf die Jahreszeiten und Witterungen; hierin erreichte er seinen Meister Turu und übertraf ihn am Ende. Und weil das Wachsen des Mondes und sein Schwinden so eng mit dem Sterben und Geborenwerden der Menschen zusammenhing, und weil von allen den Ängsten, in welchen die Menschen leben, die Angst vor dem Sterbenmüssen die tiefste ist, darum gewann der Mondverehrer und Mondkenner Knecht aus seinem nahen und lebendigen Verhältnis zum Monde auch ein geweihtes und geläutertes Verhältnis zum Tode; er war in seinen

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