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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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schaffen.
    Ähnlich wie jener Abend mit dem Gang von der Märchenerzählerin zu den Töpfen am Herd des Al
ten hat sich eine andere Stunde in Knechts Gedächtnis geprägt, eine Stunde zwischen Nacht und Morgen, da ihn der Meister zwei Stunden nach Mitternacht geweckt hatte und mit ihm in tiefer Finsternis hinausgegangen war, um ihm den letzten Aufgang einer schwindenden Mondsichel zu zeigen. Da harrten sie, der Meister in schweigsamer Regungslosigkeit, der Junge etwas furchtsam und vor Mangel an Schlaf fröstelnd, inmitten der Waldhügel auf einer frei vorgebauten Felsplatte lange Zeit, bis an der vom Meister vorbezeichneten Stelle und in der von ihm vorausbeschriebenen Gestalt und Neigung der dünne Mond hervorkam, ein zarter gebogener Strich. Bang und bezaubert starrte Knecht auf das langsam steigende Gestirn, zwischen Wolkenfinsternissen schwamm es sanft in einer klaren Himmelsinsel hinan.
    »Bald wird er seine Gestalt wechseln und wieder anschwellen, dann kommt die Zeit, um den Buchweizen auszusäen«, sagte der Regenmacher, die Tage an seinen Fingern vorzählend. Dann versank er wieder in das vorige Schweigen, wie alleingelassen kauerte Knecht auf dem tauglänzenden Stein und zitterte vor Kühle, aus der Waldtiefe kam ein langgezogener Eulenschrei herauf. Lange sann der Alte, dann erhob er sich, legte die Hand auf Knechts Haar und sagte leise, wie aus einem Traum heraus: »Wenn ich gestorben bin, fliegt mein Geist in den Mond. Du wirst
dann ein Mann sein und eine Frau haben, meine Tochter Ada wird deine Frau sein. Wenn sie einen Sohn von dir bekommt, wird mein Geist zurückkehren und in eurem Sohn wohnen, und du wirst ihn Turu nennen, wie ich Turu hieß.«
    Staunend hörte der Lehrling zu, er wagte kein Wort zu sagen, die dünne Silbersichel stieg und war schon halb von den Wolken verschlungen. Wunderlich berührte den jungen Menschen eine Ahnung von vielen Zusammenhängen und Verknüpfungen, Wiederholungen und Kreuzungen zwischen den Dingen und Geschehnissen, wunderlich fand er sich als Zuschauer und auch als Mitspieler vor diesen fremden, nächtlichen Himmel gestellt, wo über den unendlichen Wäldern und Hügeln die scharfe dünne Sichel, vom Meister genau vorverkündet, erschienen war; wunderbar erschien ihm der Meister und in tausend Geheimnisse eingehüllt, er, der an seinen eigenen Tod dachte, er, dessen Geist im Monde weilen und vom Monde zurück in einen Menschen kehren würde, welcher Knechts Sohn sein und des gewesenen Meisters Namen tragen sollte. Wunderlich aufgerissen und stellenweise durchsichtig gleich dem Wolkenhimmel schien die Zukunft, schien das Schicksal vor ihm zu liegen, und daß man von ihnen wissen, sie nennen und von ihnen sprechen konnte, schien ihm wie ein Ausblick in unabsehbare Räume voll von Wundern und doch voll Ordnung. Einen Augen
blick schien alles ihm vom Geiste erfaßbar, alles wißbar, alles belauschbar, der leise, sichere Gang der Gestirne oben, das Leben der Menschen und Tiere, ihre Gemeinschaften und Feindschaften, Begegnungen und Kämpfe, alles Große und Kleine samt dem in jedem Lebendigen mit eingeschlossenen Tod, das alles sah oder fühlte er in einem ersten Ahnungsschauer als ein Ganzes und sich selbst darin eingeordnet und einbezogen als etwas durchaus Geordnetes, von Gesetzen Beherrschtes, dem Geist Zugängliches. Es war die erste Ahnung von den großen Geheimnissen, ihrer Würde und Tiefe sowohl wie ihrer Wißbarkeit, die den Jüngling in dieser nächtlich-morgendlichen Waldkühle auf dem Felsen über den tausend flüsternden Wipfeln wie eine Geisterhand berührte. Er konnte nicht davon sprechen, damals nicht und in seinem ganzen Leben nicht, aber daran denken mußte er viele Male, ja es war in seinem weiteren Leben und Erfahren immer diese Stunde und ihr Erlebnis mit gegenwärtig. »Denke daran«, mahnte sie, »denke daran, daß es dies alles gibt, daß zwischen dem Mond und dir und Turu und Ada Strahlen und Ströme gehen, daß es den Tod gibt und das Seelenland und die Wiederkehr von dort und daß auf alle Bilder und Erscheinungen der Welt es eine Antwort innen in deinem Herzen gibt, daß alles dich angeht, daß du von allem so viel wissen solltest, als dem Menschen irgend zu wissen möglich ist.« So etwa sprach diese
Stimme. Für Knecht war es das erstemal, daß er die Stimme des Geistes so vernahm, ihre Verlockung, ihre Forderung, ihr magisches Werben. Schon manchen Mond hatte er am Himmel wandern sehen und manchen nächtlichen Eulenruf gehört, und aus dem

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