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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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er das Gehörte versenkt und der Vergangenheit übergeben zu haben. Indem er mit dem Beichtkind nach sei
ner Beichte betete, schien er es als Bruder und seinesgleichen aufzunehmen und anzuerkennen. Indem er ihn küßte, schien er ihn auf eine mehr brüderliche als priesterliche, auf eine mehr zärtliche als feierliche Art zu segnen.
    Sein Ruf verbreitete sich in der ganzen Umgebung von Gaza, man kannte ihn weit um und nannte ihn gelegentlich sogar mit dem verehrten, großen Beichtvater und Eremiten Dion Pugil zusammen, dessen Ruf allerdings schon um zehn Jahre älter war und auf ganz anderen Fähigkeiten beruhte, denn Vater Dion war gerade dadurch berühmt, daß er in den Seelen, die sich ihm anvertrauten, noch schärfer und rascher zu lesen verstand als in den ausgesprochenen Worten, so daß er einen zögernd Beichtenden nicht selten dadurch überraschte, daß er ihm seine noch nicht gebeichteten Sünden auf den Kopf zusagte. Dieser Seelenkenner, von welchem Josef hundert erstaunliche Geschichten hatte erzählen hören und mit welchem er sich selbst niemals zu vergleichen gewagt hätte, war auch ein begnadeter Berater irrender Seelen, war ein großer Richter, Bestrafer und Ordner: er auferlegte Bußen, Kasteiungen und Wallfahrten, stiftete Ehen, zwang Verfeindete zur Aussöhnung, und seine Autorität war gleich der eines Bischofs. Er lebte in der Nähe von Askalon, wurde aber von Bittstellern sogar aus Jerusalem, ja aus noch ferner gelegenen Orten aufgesucht.
    Josephus Famulus hatte gleich den meisten Eremiten und Büßern lange Jahre eines leidenschaftlichen und aufreibenden Kampfes durchgemacht. Hatte er auch sein Weltleben verlassen, hatte er seine Habe und sein Haus weggegeben und die Stadt mit ihren vielfältigen Einladungen zur Welt- und Sinnenlust verlassen, so hatte er doch sich selbst mitnehmen müssen, und es waren in ihm alle Triebe des Leibes und der Seele vorhanden, welche einen Menschen in Not und Versuchung führen können. Er hatte zunächst vor allem den Leib bekämpft, er war streng und hart mit ihm gewesen, hatte ihn an Hitze und Kälte, an Hunger und Durst, an Narben und Schwielen gewöhnt, bis er langsam abgewelkt und abgedorrt war, aber auch noch in der hageren Asketenhülle konnte ihn der alte Adam durch die unsinnigsten Begierden und Gelüste, Träume und Vorgaukelungen schmählich überraschen und ärgern; wir wissen ja, daß den Weltflüchtigen und Büßern der Teufel eine ganz besondere Sorgfalt widmet. Als sodann gelegentlich Trostsuchende und Beichtbedürftige ihn aufgesucht hatten, erkannte er darin dankbar einen Ruf der Gnade und empfand zugleich darin eine Erleichterung seines Büßerlebens: er hatte einen über ihn selbst hinausweisenden Sinn und Inhalt bekommen, ein Amt war ihm erteilt worden, er konnte anderen dienen oder konnte Gott als Werkzeug dienen, um Seelen zu sich zu ziehen. Dies war ein wunderbares
und wahrhaft erhebendes Gefühl gewesen. Aber im Fortgang hatte es sich gezeigt, daß auch die Güter der Seele noch dem Irdischen angehören und zu Versuchungen und Fallstricken werden können. Oft nämlich, wenn solch ein Wanderer gegangen oder geritten kam, vor seiner Felsengrotte haltmachte, um einen Schluck Wasser und hernach um das Anhören seiner Beichte bat, dann beschlich unsern Josef ein Gefühl von Befriedigung und Wohlgefallen, einem Wohlgefallen an sich selbst, einer Eitelkeit und Selbstliebe, über welche er, sobald er sie erkannte, tief erschrak. Nicht selten bat er Gott auf den Knien um Vergebung und bat ihn darum, daß kein Beichtkind mehr zu ihm, dem Unwürdigen, kommen möge, nicht aus den Hütten der büßenden Brüder in der Nachbarschaft und nicht aus den Dörfern und Städten der Welt. Indessen befand er sich auch dann, wenn wirklich die Beichter zuzeiten ausblieben, nicht viel besser, und wenn daraufhin dann wieder viele kamen, dann ertappte er sich bei einer neuen Versündigung: es begegnete ihm nun, daß er beim Anhören dieser oder jener Geständnisse Regungen der Kälte und Lieblosigkeit, ja der Verachtung gegen den Beichtenden empfand. Seufzend nahm er auch diese Kämpfe auf sich, und es gab Zeiten, wo er nach jeder angehörten Beichte sich einsamen Demütigungs- und Bußübungen unterzog. Außerdem machte er es sich zum Gesetz, alle Beichtenden nicht nur wie Brüder,
sondern mit einer gewissen besonderen Ehrerbietung zu behandeln, und desto mehr, je weniger die Person eines solchen ihm gefallen wollte: er empfing sie als Boten Gottes, ausgesandt, um

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