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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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hassenswert geworden.
    Dahin also war es mit Josef gekommen. Als er eines Tages wieder auf einer jener Felsenhöhen stand, sah er in der Ferne zwischen Erde und Himmel zwei, drei winzige Gestalten erscheinen, Reisende offenbar, Pilger vielleicht, vielleicht Leute, welche ihn aufsuchen wollten, um bei ihm zu beichten – und plötzlich ergriff ihn ein unwiderstehliches Verlangen, alsbald und schleunigst davonzugehen, fort von diesem Ort, weg von diesem Leben. Das Verlangen packte ihn so übermächtig und triebhaft, daß es alle Gedanken, Einwände und Bedenken überrannte und hinwegfegte, denn natürlich fehlte es an solchen nicht; wie hätte ein frommer Büßer ohne Zuckungen des Gewissens einem Triebe zu folgen vermocht? Schon lief er, schon war er zu seiner Grotte zurückgekehrt, zur Wohnstätte so vieler durchkämpfter Jahre, zum Gefäß so vieler Erhebungen und Niederlagen. In besinnungsloser Eile rüstete er ein paar Hände voll Datteln und eine Kürbisflasche mit Wasser, verstaute
sie in seinem alten Reisebeutel, hängte ihn über die Schulter, griff zum Stab und verließ den grünen Frieden seiner kleinen Heimat, ein Flüchtling und Ruheloser, flüchtig vor Gott und den Menschen, und flüchtig am meisten vor dem, was er einst für sein Bestes, für sein Amt und seine Mission gehalten hatte. Er ging anfangs wie gehetzt, so, als wären wirklich jene fern aufgetauchten Figuren, die er vom Felsen aus gesichtet hatte, Verfolger und Feinde. Aber im Lauf der ersten Wanderstunde verließ ihn die ängstliche Eile, die Bewegung ermüdete ihn wohltätig, und während der ersten Rast, zu welcher er sich jedoch keinen Imbiß gönnte – es war ihm heilige Gewohnheit geworden, vor Sonnenuntergang keine Speise zu sich zu nehmen –, begann schon seine Vernunft, im einsamen Denken geübt, sich wieder zu ermuntern und sein triebmäßiges Handeln begutachtend abzutasten. Und sie mißbilligte dies Handeln, so wenig vernünftig es scheinen mochte, nicht, sondern sah ihm eher mit Wohlwollen zu, denn zum erstenmal seit geraumer Zeit fand sie sein Tun harmlos und unschuldig. Es war eine Flucht, die er angetreten hatte, eine plötzliche und unüberlegte Flucht zwar, aber keine schmähliche. Er hatte einen Posten verlassen, dem er nicht mehr gewachsen war, er hatte durch sein Weglaufen sich selber und dem, der ihm zusehen mochte, sein Versagen eingestanden, er hatte einen täglich wiederholten, nutzlosen Kampf aufgegeben
und sich als den Geschlagenen und Unterlegenen bekannt. Dies war, so fand seine Vernunft, nicht großartig, nicht heroisch und heiligmäßig, aber es war aufrichtig und schien unumgänglich gewesen zu sein; er wunderte sich jetzt darüber, daß er diese Flucht erst so spät angetreten, daß er es so lange, so sehr lange ausgehalten hatte. Den Kampf und Trotz, in dem er sich so lange auf dem verlorenen Posten gehalten hatte, empfand er jetzt als einen Irrtum, vielmehr als einen Kampf und Krampf seiner Selbstsucht, seines alten Adam, und meinte jetzt zu verstehen, warum dieser Trotz zu so üblen, ja teuflischen Folgen geführt hatte, zu solcher Zerrissenheit und Gemütserschlaffung, ja zu dämonischem Besessensein vom Wunsche nach Tod und Selbstvernichtung. Wohl sollte ein Christ dem Tode nicht Feind sein, wohl sollte ein Büßer und Heiliger sein Leben durchaus als ein Opfer betrachten; aber der Gedanke an freiwillige Tötung war ganz und gar ein teuflischer und konnte nur in einer Seele entstehen, deren Meister und Hüter nicht mehr Gottes Engel, sondern die bösen Dämonen waren. Eine Weile saß er ganz verloren und betreten und endlich tief zerknirscht und erschüttert, indem ihm aus dem Abstand, den ihm die wenigen Meilen der Wanderung gaben, sein jüngst vergangenes Leben sichtbar wurde und ins Bewußtsein trat, das verzweifelte und gehetzte Leben eines alternden Mannes, der sein Ziel verfehlt hat und beständig
von der gräßlichen Versuchung gepeinigt war, sich am Ast eines Baumes zu erhängen wie der Verräter des Heilands. Wenn es ihm vor dem freiwilligen Tode so sehr graute, so spukte in diesem Grauen freilich auch noch ein Rest von vorzeitlichem, vorchristlichem, altheidnischem Wissen, Wissen um den uralten Brauch des Menschenopfers, zu dem der König, der Heilige, der Auserwählte des Stammes ausersehen war und das er nicht selten mit eigener Hand zu vollziehen gehalten war. Nicht nur daß dieser verpönte Brauch aus heidnischen Vorzeiten herüberklang, machte ihn so grauenerregend, sondern noch mehr der

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