Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
schwieg, und niemand rührte sich. Turu, dunkelrot unter der schweren Fellmütze, blickte gequält im Kreise herum, spöttisch verzog sich seines Vaters Mund. Endlich stampfte die Ahnmutter wütend mit dem Fuße auf, winkte Maro her und schrie ihn an: »Vorwärts doch! Nimm die Axt und tu es!« Maro, die Axt in Händen, stellte sich vor seinem einstigen Lehrmeister auf, er haßte ihn noch mehr als sonst, der Zug von Spott auf diesem schweigsamen alten Mund tat ihm bitter weh. Er hob die Axt und schwang sie über sich, zielend hielt er sie oben schwebend, starrte dem Opfer ins Gesicht und wartete, daß es die Augen schlösse. Allein dies tat Knecht nicht, er hielt die Augen unentwegt offen und blickte den Mann mit der Axt an, beinah ohne Ausdruck, aber was an Ausdruck zu sehen war, schwebte zwischen Mitleid und Spott.
Wütend warf Maro die Axt weg. »Ich tue es nicht«, murmelte er, drang durch den Kreis der Ehrwürdigen und verlor sich in der Menge. Einige lachten leise. Die Ahnmutter war bleich vor Zorn geworden, über den feigen, unbrauchbaren Maro nicht weniger als über diesen hochmütigen Regenmacher. Sie winkte einem der Ältesten, einem ehrwürdigen, stillen Mann, der auf seine Axt gestützt stand und sich dieser ganzen unbehaglichen Szene zu schämen schien. Er trat vor, er nickte dem Opfer kurz und freundlich zu, sie kannten sich seit Knabenzeiten, und jetzt schloß das Opfer willig seine Augen, fest tat Knecht sie zu und senkte den Kopf ein wenig. Der Alte schlug ihn mit der Axt, er sank zusammen. Turu, der neue Regenmacher, konnte kein Wort sprechen, nur mit Gebärden ordnete er das Notwendige an, und bald war ein Holzstoß geschichtet und der Tote darauf niedergelegt. Das feierliche Ritual des Feuerbohrens mit den beiden geweihten Hölzern war Turus erste Amtshandlung.
Der Beichtvater
Es war um die Zeit, da der heilige Hilarion noch am Leben, wenn auch schon hoch in den Jahren war, da lebte in der Stadt Gaza einer namens Josephus Famulus, der hatte bis zu seinem dreißigsten Jahr oder län
ger ein Weltleben geführt und die heidnischen Bücher studiert, war alsdann durch eine Frau, welcher er nachstellte, mit der göttlichen Lehre und der Süßigkeit der christlichen Tugenden bekannt geworden, hatte sich der heiligen Taufe unterzogen, seinen Sünden abgeschworen und mehrere Jahre zu den Füßen der Presbyter seiner Stadt gesessen und namentlich den so sehr beliebten Erzählungen vom Leben der frommen Einsiedler in der Wüste mit brennender Neugier gelauscht, bis er eines Tages, etwa sechsunddreißig Jahre alt, jenen Weg einschlug, den die Heiligen Paulus und Antonius vorangegangen und den seither so manche Fromme eingeschlagen hatten. Er übergab den Rest seiner Habe den Ältesten, um ihn an die Armen der Gemeinde zu verteilen, nahm beim Tore von seinen Freunden Abschied und wanderte aus der Stadt in die Wüste, aus der schnöden Welt in das arme Leben der Büßer hinüber.
Viele Jahre sengte und dörrte ihn die Sonne, rieb er betend die Knie auf Fels und Sand, wartete er fastend den Untergang der Sonne ab, um seine paar Datteln zu kauen; quälten ihn die Teufel mit Anfechtung, Hohn und Versuchung, schlug er sie nieder mit Gebet, mit Buße, mit Preisgabe seiner selbst, wie wir das alles in den Lebensbeschreibungen der seligen Väter geschildert finden. Viele Nächte auch blickte er schlummerlos zu den Sternen empor, und auch die Sterne schufen ihm Anfechtung und Verwirrung,
er las die Sternbilder ab, in welchen er einst gelernt hatte, die Geschichten der Götter und die Sinnbilder der Menschennatur mit zu lesen, eine Wissenschaft, welche von den Presbytern durchaus verabscheut wurde und welche noch lang ihn mit Phantasien und Gedanken aus seiner heidnischen Zeit verfolgte.
Überall, wo in jenen Bezirken die nackte unfruchtbare Wildnis von einem Quell, einer Handvoll Grün, einer kleinen oder großen Oase sich unterbrochen zeigte, lebten damals die Eremiten, manche ganz allein, manche in kleinen Brüderschaften, wie sie auf einem Bild im Camposanto von Pisa dargestellt sind, Armut und Nächstenliebe übend, Adepten einer sehnsüchtigen Ars moriendi, einer Kunst des Sterbens, des Absterbens von der Welt und vom eigenen Ich und des Hinübersterbens zu ihm, dem Erlöser, ins Lichte und Unverwelkliche. Sie wurden von Engeln und von Teufeln besucht, sie dichteten Hymnen, trieben Dämonen aus, heilten und segneten und schienen es auf sich genommen zu haben, die Weltlust, Roheit und Sinnengier vieler
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