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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Gedanke, daß am Ende der vom Erlöser am Kreuz erlittene Tod auch nichts anderes war als ein freiwillig vollzogenes Menschenopfer. Und in der Tat: wenn er sich recht besann, so war eine Ahnung dieses Bewußtseins schon in jenen Regungen der Begierde nach Selbstmord vorhanden gewesen, ein trotzig-böser, wilder Drang, sich selber zu opfern und damit eigentlich auf unerlaubte Weise den Erlöser nachzuahmen – oder auf unerlaubte Weise anzudeuten, daß jenem sein Erlösungswerk nicht so ganz gelungen sei. Er erschrak tief bei diesem Gedanken, fühlte aber auch, daß er jener Gefahr nun entronnen sei.
    Lange betrachtete er diesen Büßer Josef, zu dem er geworden war und welcher jetzt, statt dem Judas oder auch dem Gekreuzigten nachzufolgen, die Flucht
ergriffen und sich damit von neuem in Gottes Hand gegeben hatte. Scham und Bekümmerung wuchsen in ihm an, je deutlicher er die Hölle erkannte, der er entlaufen war, und am Ende drängte das Elend sich wie ein würgender Bissen in seiner Kehle, wuchs zu unerträglichem Drang und fand plötzlich Abschluß und Erlösung in einem Ausbruch von Tränen, der ihm wunderbar wohltat. O wie lange hatte er nicht mehr weinen können! Die Tränen flossen, die Augen vermochten nichts mehr zu sehen, aber das tödliche Würgen war gelöst, und als er zu sich kam und den Salzgeschmack auf seinen Lippen fühlte und wahrnahm, daß er weine, war ihm einen Augenblick, als sei er wieder ein Kind geworden und wisse nichts von Argem. Er lächelte, er schämte sich ein wenig seines Weinens, stand endlich auf und setzte seine Wanderung fort. Er fühlte sich unsicher, wußte nicht, wohin seine Flucht führen und was mit ihm werden solle, wie ein Kind kam er sich vor, aber es war kein Kampf und Wollen mehr in ihm, er fühlte sich leichter und wie geführt, wie von einer fernen guten Stimme gerufen und gelockt, als wäre seine Reise nicht eine Flucht, sondern eine Heimkehr. Er wurde müde, und die Vernunft auch, sie schwieg oder ruhte sich aus oder kam sich entbehrlich vor.
    An der Tränkestelle, wo Josef übernachtete, rasteten einige Kamele; da der kleinen Reisegesellschaft auch zwei Frauen angehörten, begnügte er sich mit
einer Grußgebärde und vermied ein Gespräch. Dafür konnte er, nachdem er beim Dunkelwerden einige Datteln verzehrt, gebetet und sich niedergelegt hatte, die leise Unterhaltung zwischen zwei Männern, einem alten und einem jüngeren, mit anhören, denn sie lagen in seiner nächsten Nähe. Es war nur ein Stückchen ihres Zwiegesprächs, das er hören konnte, der Rest wurde nur noch geflüstert. Aber auch dies kleine Bruchstück nahm seine Aufmerksamkeit und Teilnahme in Anspruch und gab ihm für die halbe Nacht zu denken.
    »Schon gut«, hörte er die Stimme des Alten sagen, »schon gut, daß du zu einem frommen Mann gehen und beichten willst. Diese Leute verstehen allerhand, sage ich dir, sie können mehr als bloß Brot essen, und mancher von ihnen ist zauberkundig. Wenn er einem anspringenden Löwen nur ein Wörtchen zuruft, so duckt er sich, der Räuber, zieht den Schwanz ein und schleicht sich davon. Sie können Löwen zahm machen, sage ich dir; einem von ihnen, der ein besonders heiliger Mann war, haben sogar seine zahmen Löwen das Grab gegraben, als er gestorben war, haben die Erde wieder hübsch über ihm zusammengescharrt, und lange Zeit haben immer zwei von ihnen Tag und Nacht an seinem Grab die Wacht gehalten. Und nicht bloß Löwen verstehen sie zahm zu kriegen, diese Leute. Einer von ihnen hat einmal einen römischen Zenturionen, ein grausames Biest
von einem Soldaten und den größten Hurenbruder von ganz Askalon, ins Gebet genommen und ihm das böse Herz geknetet, so daß der Kerl klein und ängstlich davonging wie eine Maus und ein Loch suchte, um sich zu verstecken. Man hat den Burschen nachher kaum wiedererkannt, so still und klein war er geworden. Allerdings, und das gibt zu denken, ist der Mann bald darauf gestorben.«
    »Der heilige Mann?«
    »O nein, der Zenturio. Varro hieß er. Seit der Büßer ihn zusammengestaucht und ihm das Gewissen geweckt hatte, ist er ziemlich schnell zusammengefallen, bekam zweimal das Fieber und ist nach einem Vierteljahr ein toter Mann gewesen. Na, nicht schade um ihn. Aber immerhin, ich habe mir oft gedacht: der Büßer hat ihm nicht bloß den Teufel ausgetrieben, er wird wohl auch ein Sprüchlein über ihn gesprochen haben, das ihn unter die Erde gebracht hat.«
    »Ein so frommer Mann? Das kann ich nicht glauben.«

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