Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
dahingegangener und vieler noch kommender Zeitalter durch eine gewaltige Woge des Enthusiasmus und der Hingabe, durch ein ekstatisches Plus an Weltentsagung wieder gutzumachen. Manche von ihnen waren wohl im Besitz von alten heidnischen Praktiken der Läuterung, von Methoden und Übungen eines seit Jahrhunderten in Asien hochgezüchteten Verfahrens der Vergeistigung,
doch wurde davon nicht gesprochen, und es wurden diese Methoden und Yoga-Übungen nicht eigentlich mehr gelehrt, sondern unterlagen dem Verbot, mit welchem das Christentum alles Heidnische mehr und mehr belegte.
In manchen dieser Büßer bildete die Glut dieses Lebens besondere Gaben aus, Gaben des Gebets, des Heilens durch Handauflegung, der Prophetie, des Teufelbannens, Gaben des Richtens und Strafens, des Tröstens und Segnens. Auch in Josephus schlummerte eine Gabe, und mit den Jahren, als sein Haar fahl zu werden begann, kam sie langsam zu ihrer Blüte. Es war die Gabe des Zuhörens. Wenn ein Bruder aus einer der Siedlungen oder ein vom Gewissen beunruhigtes und getriebenes Weltkind sich bei Josef einfand und ihm von seinen Taten, Leiden, Anfechtungen und Verfehlungen berichtete, sein Leben erzählte, seinen Kampf um das Gute und sein Erliegen im Kampf, oder einen Verlust und Schmerz, eine Trauer, so verstand Josef ihn anzuhören, ihm sein Ohr und Herz zu öffnen und hinzugeben, sein Leid und seine Sorge in sich aufzunehmen und zu bergen und ihn entleert und beruhigt zu entlassen. Langsam, in langen Jahren, hatte dieses Amt sich seiner bemächtigt und ihn zum Werkzeug gemacht, zu einem Ohr, dem man Vertrauen schenkte. Eine gewisse Geduld, eine gewisse einsaugende Passivität und eine große Verschwiegenheit waren seine Tugenden. Im
mer häufiger kamen Leute zu ihm, um sich auszusprechen, um sich angestauter Bedrängnisse zu entledigen, und manche von ihnen brachten, auch wenn sie einen weiten Weg bis zu seiner Rohrhütte hatten zurücklegen müssen, nach der Ankunft und Begrüßung doch nicht die Freiheit und Tapferkeit zum Bekennen auf, sondern wanden und schämten sich, taten mit ihren Sünden kostbar, seufzten und schwiegen lang, stundenlang, und er verhielt sich gegen einen jeden gleich, ob er nun gern oder widerwillig, ob er geläufig oder stockend redete, ob er seine Geheimnisse wütend von sich warf oder sich mit ihnen wichtig machte. Es war ihm einer wie der andere, er mochte Gott anklagen oder sich selbst, er mochte seine Sünden und Leiden vergrößern oder verkleinern, er mochte einen Totschlag oder nur eine Unkeuschheit beichten, eine untreue Geliebte oder ein verspieltes Seelenheil beklagen. Es erschreckte ihn nicht, wenn einer von vertrautem Umgang mit Dämonen erzählte und mit dem Teufel auf du zu stehen schien, noch verdroß es ihn, wenn einer lang und vielerlei erzählte und dabei sichtlich die Hauptsache verschwieg, noch machte es ihn ungeduldig, wenn einer sich wahnhafter und erdichteter Sünden bezichtigte. Es schien alles, was ihm an Klagen, Geständnissen, Anklagen und Gewissensängsten zugetragen wurde, in sein Gehör einzugehen wie Wasser in Wüstensand, er schien kein Urteil darüber zu haben und weder Mitleid
noch Verachtung für den Beichtenden zu fühlen, und dennoch, oder vielleicht eben darum, schien das, was ihm gebeichtet wurde, nicht ins Leere gesagt, sondern im Sagen und Gehörtwerden verwandelt, erleichtert und gelöst zu werden. Selten nur sprach er eine Mahnung oder Warnung aus, noch seltener gab er einen Rat oder gar Befehl; es schien dies nicht seines Amtes zu sein, und die Sprechenden schienen es auch zu fühlen, daß dies nicht seines Amtes sei. Sein Amt war, Vertrauen zu erwecken und zu empfangen, geduldig und liebevoll zuzuhören, dadurch der noch nicht fertig gestalteten Beichte vollends zur Gestalt zu verhelfen, das in den Seelen Gestaute oder Verkrustete zum Fluß und Abströmen einzuladen, es aufzunehmen und in Schweigen einzuhüllen. Nur daß er am Ende einer jeden Beichte, der schrecklichen wie der harmlosen, der zerknirschten wie der eitlen, den Beichtenden neben sich knien ließ und das Vaterunser betete und ihn, ehe er ihn entließ, auf die Stirn küßte. Bußen und Strafen zu verhängen, war nicht seines Amtes, auch zum Aussprechen einer eigentlichen priesterlichen Absolution fühlte er sich nicht ermächtigt, es war weder das Richten noch das Vergeben der Schuld seine Sache. Indem er zuhörte und verstand, schien er Mitschuld auf sich zu nehmen, schien tragen zu helfen. Indem er schwieg, schien
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