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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Dion zu finden ist, genannt Dion Pugil?«
    Der Fremde zog die Brauen ein wenig zusammen, und sein Blick wurde noch kühler.
    »Ich kenne ihn«, sagte er knapp.
    »Ihr kennt ihn?« rief Josef. »O, dann sagt ihn mir, denn dorthin, zu Vater Dion, geht meine Reise.«
    Der große alte Mann schaute prüfend zu ihm hernieder. Er ließ ihn lange auf Antwort warten. Dann trat er zu seinem Baumstamm zurück, ließ sich langsam wieder zu Boden nieder und setzte sich, an den Stamm gelehnt, wie er vorher gesessen war. Mit einer kleinen Handbewegung forderte er Josef auf, sich ebenfalls niederzulassen. Gehorsam leistete dieser der Gebärde Folge, spürte im Niedersitzen einen Augenblick die große Müdigkeit in seinen Gliedern,
vergaß sie aber alsbald wieder, um seine ganze Aufmerksamkeit dem Greise zuzuwenden. Dieser schien in Nachsinnen versunken, ein Zug von abweisender Strenge erschien auf seinem würdevollen Antlitz, über welchen jedoch noch ein anderer Ausdruck, ja ein anderes Gesicht, wie eine durchsichtige Maske gelegt schien, ein Ausdruck alten und einsamen Leides, dem der Stolz und die Würde keine Äußerung erlauben.
    Es dauerte lange, bis der Blick des Ehrwürdigen sich ihm wieder zuwandte. Mit großer Schärfe prüfte ihn auch jetzt wieder dieser Blick, und plötzlich stellte der Alte in befehlendem Ton die Frage: »Wer seid Ihr denn, Mann?«
    »Ich bin ein Büßer«, sagte Josef, »ich habe seit langen Jahren das Leben der Zurückgezogenen geführt.«
    »Das sieht man. Ich frage, wer Ihr seid.«
    »Ich heiße Josef, mit dem Zunamen Famulus.«
    Als Josef seinen Namen sagte, zog der Alte, der im übrigen regungslos blieb, die Brauen so stark zusammen, daß seine Augen für eine Weile beinah unsichtbar wurden, er schien betroffen, erschreckt oder enttäuscht zu sein über Josefs Mitteilung; oder vielleicht war es auch nur eine Ermüdung der Augen, ein Nachlassen der Aufmerksamkeit, irgendeine kleine Anwandlung von Schwäche, wie so alte Leute sie haben. Jedenfalls verharrte er in vollkommener Regungslosigkeit, hielt die Augen eine Weile eingekniffen, und
als er sie wieder öffnete, schien sein Blick verändert oder schien, wenn es möglich war, noch älter, noch einsamer, versteinerter und abwartender geworden zu sein. Langsam tat er die Lippen voneinander, um zu fragen: »Ich habe von Euch gehört. Seid Ihr der, zu dem die Leute beichten gehen?«
    Josef bejahte verlegen, das Erkanntwerden wie eine unliebsame Entblößung empfindend und von der Begegnung mit seinem Ruf nun schon zum zweitenmal beschämt.
    Wieder fragte der Alte in seiner bündigen Weise: »Und jetzt wollt Ihr also den Dion Pugil aufsuchen? Was wollt Ihr von dem?«
    »Ich möchte ihm beichten.«
    »Was versprecht Ihr Euch davon?«
    »Ich weiß nicht. Ich habe Vertrauen zu ihm, und es scheint mir sogar, als wäre es eine Stimme von oben, eine Führung, die mich zu ihm sendet.«
    »Und wenn Ihr ihm gebeichtet haben werdet, was dann?«
    »Dann werde ich das tun, was er mir befiehlt.«
    »Und wenn er Euch etwas Falsches rät oder befiehlt?«
    »Ich werde nicht untersuchen, ob es falsch sei oder nicht, sondern ich werde gehorchen.«
    Der Greis ließ kein Wort mehr hören. Die Sonne war tief gerückt, ein Vogel schrie im Laub des Baumes. Da der Alte schweigsam blieb, erhob sich Josef.
Schüchtern kam er nochmals auf sein Anliegen zurück.
    »Ihr habt gesagt, daß Euch der Ort bekannt sei, an dem man den Vater Dion finden kann. Darf ich bitten, daß Ihr mir den Ort nennt und den Weg dorthin beschreibt?«
    Der Alte zog seine Lippen zu einer Art von schwachem Lächeln zusammen. »Glaubt Ihr«, fragte er sanft, »daß Ihr ihm willkommen sein werdet?«
    Wunderlich erschreckt durch die Frage, gab Josef keine Antwort. Er stand verlegen.
    Dann sagte er: »Darf ich wenigstens hoffen, Euch wiederzusehen?«
    Der alte Mann machte eine grüßende Gebärde und antwortete: »Ich werde hier schlafen und mich hier bis kurz nach Sonnenaufgang aufhalten. Geht jetzt, Ihr seid müde und hungrig.«
    Mit ehrerbietigem Gruß ging Josef weiter und kam mit Einbruch der Dämmerung in die kleine Siedlung. Es wohnten hier, ähnlich wie in einem Kloster, sogenannte Zurückgezogene, Christen aus verschiedenen Städten und Ortschaften, die sich hier in der Abgeschiedenheit eine Unterkunft geschaffen hatten, um ungestört sich einem einfachen, reinen Leben der Stille und Kontemplation zu ergeben. Man gab ihm Wasser, Speise und Nachtlager und verschonte ihn, da man sah, wie müde er war,

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