Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
daran, daß er diese heidnischen Irrtümer nicht mit Eifer und Zorn zurückweise, widerlege und banne, sondern daß die klugen Monologe des vielwissenden Pilgers ihn zu unterhalten und seine Teilnahme zu erregen schienen, denn er hörte nicht nur mit Hingabe zu, sondern lächelte und nickte auch des öfteren zu einem Wort des Redenden, als gefalle es ihm.
Als dieser Mensch wieder gegangen war, fragte Jo
sef mit einem Ton von Eifer und beinahe Vorwurf: »Wie kommt es, daß du die Irrlehren dieses ungläubigen Heiden so geduldig angehört hast? Ja, du hast sie, so schien mir, nicht nur mit Geduld, sondern geradezu mit Teilnahme und mit einem gewissen Vergnügen angehört. Warum bist du ihnen nicht entgegengetreten? Warum hast du nicht versucht, diesen Menschen zu widerlegen, zu strafen und zum Glauben an unsern Herrn zu bekehren?«
Dion wiegte das Haupt auf dem dünnen faltigen Halse und gab Antwort: »Ich habe ihn nicht widerlegt, weil es nichts genützt hätte, vielmehr, weil ich dazu gar nicht imstande gewesen wäre. Im Reden und Kombinieren und in der Kenntnis der Mythologie und der Sterne ist dieser Mann mir ohne Zweifel weit überlegen, ich hätte nichts gegen ihn ausgerichtet. Und ferner, mein Sohn, ist es weder meine noch deine Sache, dem Glauben eines Menschen entgegenzutreten mit der Behauptung, es sei Lug und Irrtum, woran er glaube. Ich habe, gestehe ich, diesem klugen Mann mit einem gewissen Vergnügen zugehört, das ist dir nicht entgangen. Es machte mir Vergnügen, weil er vorzüglich sprach und viel wußte, vor allem aber, weil er mich an meine Jugendzeit erinnerte, denn in der Jugend habe ich mich viel mit ebensolchen Studien und Kenntnissen beschäftigt. Die Dinge aus der Mythologie, über die der Fremde so hübsch geplaudert hat, sind keineswegs Irrtümer. Sie
sind Vorstellungen und Gleichnisse eines Glaubens, den wir nicht mehr brauchen, weil wir den Glauben an Jesum, den einzigen Erlöser, gewonnen haben. Für jene aber, die unsern Glauben noch nicht gefunden haben, ihn vielleicht überhaupt nicht finden können, ist ihr Glaube, aus alter Väterweisheit stammend, mit Recht ehrwürdig. Gewiß, Lieber, ist unser Glaube ein anderer, ein durchaus anderer. Aber weil unser Glaube der Lehre von den Gestirnen und Äonen, von den Urwassern und Weltmüttern und all dieser Gleichnisse nicht bedarf, darum sind jene Lehren an sich keineswegs Irrtum, Lug und Trug.«
»Aber unser Glaube«, rief Josef, »ist doch der bessere, und Jesus ist für alle Menschen gestorben; also müssen die, die ihn kennen, doch jene veralteten Lehren bekämpfen und die neue, richtige an ihre Stelle setzen!«
»Dies haben wir ja längst getan, du und ich und so viele andere«, sagte Dion gelassen. »Wir sind Gläubige, weil wir vom Glauben, von der Macht nämlich des Erlösers und seines Erlösertodes, ergriffen worden sind. Jene anderen aber, jene Mythologen und Theologen des Tierkreises und der alten Lehren, sind von dieser Macht nicht ergriffen worden, noch nicht, und uns ist es nicht gegeben, sie zu zwingen, daß sie Ergriffene werden. Hast du nicht bemerkt, Josef, wie hübsch und höchst geschickt dieser Mythologe zu plaudern und sein Bilderspiel zusammenzusetzen
wußte und wie wohl es ihm dabei war, wie friedlich und harmonisch er in seiner Weisheit der Bilder und Gleichnisse lebt? Nun, dies ist ein Zeichen dafür, daß diesen Mann kein schweres Leiden drückt, daß er zufrieden ist, daß es ihm gut geht. Menschen, welchen es gut geht, hat unsereiner aber nichts zu sagen. Damit ein Mensch der Erlösung und des erlösenden Glaubens bedürftig werde, damit er die Freude an der Weisheit und Harmonie seiner Gedanken verliere und das große Wagnis des Glaubens an das Wunder der Erlösung auf sich nehme, muß es ihm erst schlecht gehen, sehr schlecht, er muß Leid und Enttäuschung, er muß Bitternis und Verzweiflung erlebt haben, die Wasser müssen ihm bis an den Hals gegangen sein. Nein, Josef, lassen wir diesen gelehrten Heiden in seinem Wohlergehen, lassen wir ihn im Glück seiner Weisheit, seines Denkens und seiner Redekunst! Vielleicht wird er morgen, wird er in einem Jahr, in zehn Jahren das Leid erfahren, das ihm seine Kunst und Weisheit zertrümmert, vielleicht wird man ihm die Frau, die er liebt, oder den einzigen Sohn totschlagen, oder er fällt in Krankheit und Armut; wenn wir ihm alsdann wieder begegnen, wollen wir uns seiner annehmen und ihm erzählen, auf welche Weise wir es versucht haben, des Leides Herr zu werden.
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