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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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mit Fragen und Unterhaltungen. Einer sprach ein Nachtgebet, an dem die
anderen kniend teilnahmen, das Amen sprachen alle gemeinsam. Die Gemeinschaft dieser Frommen wäre zu einer anderen Zeit ein Erlebnis und eine Freude für ihn gewesen, aber jetzt hatte er nur eines im Sinn, und am frühesten Morgen eilte er dorthin zurück, wo er den alten Mann gestern verlassen hatte. Er fand ihn am Boden liegen und schlafen, in eine dünne Matte gerollt, und setzte sich abseits unter den Bäumen, um sein Erwachen zu erwarten. Schon bald wurde der Schläfer unruhig, erwachte, wickelte sich aus der Matte, stand schwerfällig auf und streckte die steifgewordenen Glieder, dann kniete er zu Boden und verrichtete sein Gebet. Als er sich wieder erhob, näherte sich Josef und verneigte sich stumm. »Hast du schon gegessen?« fragte der Fremde.
    »Nein. Ich habe die Gewohnheit, nur einmal am Tage und erst nach Untergang der Sonne zu essen. Seid Ihr hungrig, Ehrwürdiger?«
    »Wir sind auf Wanderung«, sagte jener, »und wir sind beide keine jungen Leute mehr. Es ist besser, wir essen einen Bissen, ehe wir weiterziehen.«
    Josef öffnete seinen Beutel und bot ihm von seinen Datteln an, auch hatte er von den freundlichen Leuten, bei denen er genächtigt, ein Hirsebrot mitbekommen, das er mit dem Alten teilte.
    »Wir können gehen«, sagte der Alte, als sie gegessen hatten.
    »O, wir werden zusammen gehen?« rief Josef erfreut.
    »Gewiß. Du hast mich ja gebeten, dich zu Dion zu führen. Komm nur.«
    Erstaunt und glücklich blickte ihn Josef an. »Wie gütig Ihr seid«, rief er und wollte in Danksagungen ausbrechen. Aber der Fremde machte ihn mit einer schroffen Handbewegung verstummen.
    »Gütig ist Gott allein«, sagte er. »Wir gehen jetzt. Und sage du zu mir, wie ich es zu dir sage. Was sollen die Formen und Höflichkeiten zwischen zwei alten Büßern?«
    Der große Mann schritt aus, und Josef schloß sich an, der Tag war angebrochen. Der Führer schien der Richtung und des Weges sicher zu sein und verhieß, sie würden gegen Mittag an einen schattigen Ort gelangen, wo sie für die Stunden der größten Sonnenglut Rast halten könnten. Weiter wurde auf dem Wege nicht gesprochen.
    Erst als nach heißen Stunden der Rastort erreicht war und sie im Schatten zerklüfteter Felsen ausruhten, richtete Josef wieder das Wort an seinen Führer. Er fragte, wie viele Tagesmärsche sie wohl brauchen würden, um zu Dion Pugil zu kommen.
    »Es kommt nur auf dich an«, sagte der Alte.
    »Auf mich?« rief Josef. »Ach, wenn es nur auf mich ankäme, so stünde ich noch heute vor ihm.«
    Der alte Mann schien auch jetzt nicht zu Gesprächen gelaunt.
    »Wir werden sehen«, sagte er kurz, legte sich auf
die Seite und schloß die Augen. Es war Josef unangenehm, ihn beim Schlummer beobachten zu können, er zog sich leise etwas abseits und legte sich, und unversehens entschlief auch er, der in der Nacht lange wach gelegen war. Sein Führer weckte ihn, als ihm die Zeit zum Abmarsch gekommen schien.
    Am Spätnachmittag kamen sie zu einem Lagerplatz mit Wasser, Bäumen und Graswuchs, hier tranken sie, wuschen sich, und der Alte beschloß, hier zu bleiben. Josef war nicht einverstanden und erhob schüchtern Einspruch.
    »Du sagtest heute«, meinte er, »es liege nur an mir, wie früh oder spät ich zu Vater Dion kommen werde. Ich bin bereit, noch viele Stunden zu gehen, wenn ich ihn wirklich schon heute oder morgen erreichen kann.«
    »Ach nein«, sagte der andre, »für heute sind wir weit genug gekommen.«
    »Verzeih«, sagte Josef, »aber kannst du meine Ungeduld nicht verstehen?«
    »Ich verstehe sie. Doch wird sie dir nichts nützen.«
    »Warum sagtest du dann, es liege an mir?«
    »Es ist so, wie ich sagte. Sobald du deines Willens zum Beichten sicher bist und dich bereit und reif weißt, die Beichte abzulegen, wirst du sie ablegen können.«
    »Auch heute noch?«
    »Auch heute noch.«
    Staunend blickte Josef in das stille, alte Gesicht.
    »Ist es möglich?« rief er überwältigt. »Bist du selbst Vater Dion?«
    Der Alte nickte.
    »Ruhe dich hier unter den Bäumen aus«, sagte er freundlich, »aber schlafe nicht, sondern sammle dich, und auch ich will mich ausruhen und sammeln. Dann magst du mir sagen, was du zu sagen begehrst.«
    So sah sich Josef plötzlich am Ziel und begriff jetzt kaum mehr, daß er den ehrwürdigen Mann nicht früher erkannt und verstanden habe, neben dem er einen ganzen Tag einhergegangen war. Er zog sich zurück, kniete und betete und

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