Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
aufmerksam und kritisch bis zur Übertreibung. Diese Elite des Nachwuchses aus dem Vicus Lusorum galt für viele in Kastalien, und auch für einige draußen im Lande, als letzte Blüte der kastalischen Tradition, als Creme einer exklusiv aristokratischen Geistigkeit, und mancher Jüngling hat jahrelang voll Ehrgeiz davon geträumt, ihr einst anzugehören. Für andere wieder war dieser erlesene Kreis von Prätendenten auf die höheren Würden in der Hierarchie des Glasperlenspiels etwas Verhaßtes und Verkommenes, eine Clique von hochnäsigen Nichtstuern, geistreich verspielten Genies ohne Sinn für Leben und Wirklichkeit, eine anmaßende und im Grunde schmarotzerische Gesellschaft von Elegants und Strebern, deren Beruf
und Lebensinhalt eine Spielerei, ein unfruchtbarer Selbstgenuß des Geistes sei.
Knecht stand beiden Auffassungen ohne Empfindlichkeit gegenüber; es bedeutete ihm nichts, ob er vom Studentenklatsch als Wundertier gepriesen oder als Emporkömmling und Streber bespöttelt werde. Was ihm wichtig war, waren nur seine Studien, welche nun alle in den Bezirk des Spieles einbezogen waren. Was ihm wichtig war, war außerdem vielleicht nur noch jene eine Frage, ob nämlich das Spiel wirklich das Höchste von Kastalien und wert sei, sein Leben daran zu setzen. Denn mit dem Sicheinspielen in immer verborgenere Geheimnisse der Spielgesetze und Spielmöglichkeiten, mit dem Heimischwerden in den bunten Labyrinthen des Archives und der komplexen Innenwelt der Spielsymbolik waren seine Zweifel nicht unbedingt zum Schweigen gebracht, er hatte es schon in sich erfahren, daß Glaube und Zweifel zusammengehören, daß sie einander bedingen wie Ein- und Ausatmen, und mit den Fortschritten in allen Gebieten des Spiel-Mikrokosmos waren natürlich auch sein Sehvermögen und seine Empfindlichkeit für alles Problematische des Spieles gewachsen. Eine kleine Weile hatte vielleicht das Idyll im Bambusgehölz ihn beruhigt oder auch irre gemacht; das Beispiel des Älteren Bruders hatte ihm gezeigt, daß es immerhin Auswege aus all dieser Problematik gab, man konnte zum Beispiel wie jener sich zum Chine
sen machen, sich hinter einer Gartenhecke abschließen und in einer genügsam schönen Art von Vollkommenheit leben. Man konnte vielleicht auch Pythagoreer werden oder Mönch und Scholastiker – aber es war ein Ausweg, ein nur wenigen möglicher und erlaubter Verzicht auf Universalität, ein Verzicht auf das Heute und Morgen zugunsten eines Vollkommenen, aber Vergangenen, es war eine sublime Art von Flucht, und Knecht hatte beizeiten gespürt, daß dies sein Weg nicht sei. Aber welches war sein Weg? Außer seiner großen Begabung für die Musik und für das Glasperlenspiel wußte er noch andere Kräfte in sich vorhanden, eine gewisse innere Unabhängigkeit, einen hohen Eigensinn, der ihm zwar keineswegs das Dienen verbot oder erschwerte, der aber von ihm verlangte, daß er nur dem höchsten Herrn diene. Und diese Kraft, diese Unabhängigkeit, dieser Eigensinn in ihm war nicht nur ein Zug in seinem Bild, er war nicht nur nach innen gerichtet und wirksam, er wirkte auch nach außen. Josef Knecht hatte schon in den Schuljahren, und namentlich während jener Periode seiner Rivalität mit Plinio Designori, des öftern die Erfahrung gemacht, daß manche Gleichaltrige, noch mehr aber Jüngere unter den Kameraden ihn nicht nur gern hatten und seine Freundschaft suchten, sondern dazu neigten, sich von ihm beherrschen zu lassen, ihn um Rat zu fragen, ihm Einfluß auf sich einzuräumen, und diese Erfahrung hatte sich seither des
öftern wiederholt. Sie hatte eine höchst angenehme und schmeichelhafte Seite, diese Erfahrung, sie tat dem Ehrgeiz wohl und stärkte das Selbstbewußtsein. Aber sie hatte auch eine ganz andre Seite, eine finstre und furchtbare, denn schon die Neigung, auf jene nach Rat, Führung und Vorbild begierigen Kameraden in ihrer Schwäche, ihrem Mangel an Eigensinn und an Würde herabzusehen, ja die gelegentlich auftauchende heimliche Lust, sie (wenigstens in Gedanken) zu gefügigen Sklaven zu machen, hatte etwas Verbotenes und Häßliches an sich. Außerdem hatte er während der Zeit mit Plinio es zu schmecken bekommen, mit wieviel Verantwortung, Anstrengung und innerer Belastung jede glänzende und repräsentative Stellung bezahlt wird; er wußte auch, wie schwer der Musikmeister zuweilen an der seinen trug. Es war schön und hatte etwas Verlockendes, Macht über Menschen zu haben und vor andern hervorzuglänzen, aber es
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