Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
hatte auch eine Dämonie und Gefahr, und die Weltgeschichte bestand ja aus einer lückenlosen Reihe von Herrschern, Führern, Machern und Befehlshabern, welche mit unendlich seltenen Ausnahmen alle hübsch begonnen und übel geendet, welche alle, wenigstens angeblich, um des Guten willen nach der Macht gestrebt hatten, um nachher von der Macht besessen und betäubt zu werden und sie um ihrer selbst willen zu lieben. Es galt, jene ihm von Natur mitgegebene Macht dadurch zu
heiligen und heilsam zu machen, daß er sie in den Dienst der Hierarchie stellte; dies war ihm stets selbstverständlich gewesen. Aber wo war die Stelle, an welcher seine Kräfte am besten dienen und Frucht tragen konnten? Die Fähigkeit, andere und namentlich Jüngere anzuziehen und mehr oder weniger zu beeinflussen, wäre für einen Offizier oder Politiker von Wert gewesen, aber hier in Kastalien war dafür kein Ort, hier waren diese Fähigkeiten eigentlich nur dem Lehrer und Erzieher dienlich, und gerade zu diesen Tätigkeiten fühlte Knecht wenig Lust in sich. Wenn es nach seinem Willen allein gegangen wäre, hätte er das Leben des unabhängigen Gelehrten jedem andern vorgezogen – oder aber das des Glasperlenspielers. Und damit stand er vor der alten, quälenden Frage: war dieses Spiel wirklich das Höchste, war es wirklich die Königin im geistigen Reich? War es nicht, trotz allem und allem, am Ende doch nur ein Spiel? War es einer vollen Hingabe, eines lebenslänglichen Dienstes wirklich wert? Dies berühmte Spiel hatte einst, vor Generationen, begonnen als eine Art von Ersatz für die Kunst, und es war, für viele wenigstens, im Begriffe, allmählich zu einer Art von Religion zu werden, einer Sammlungs-, Erhebungs- und Andachtsmöglichkeit für hochentwickelte Intelligenzen. Man sieht, es war der alte Wettstreit zwischen Ästhetisch und Ethisch, der sich in Knecht vollzog. Die nie vollkommen ausgesprochene, aber auch niemals ganz
schweigende Frage war dieselbe, die da und dort in seinen Schülergedichten in Waldzell so dunkel und drohend aufgetaucht war – sie galt nicht nur dem Glasperlenspiel, sie galt Kastalien überhaupt.
Gerade zu einer Zeit, in der diese Problematik ihn stark bedrängte und er in Träumen des öftern Auseinandersetzungen mit Designori erlebte, begegnete es ihm einmal beim Gang über einen der geräumigen Höfe der Waldzeller Spielerstadt, daß hinter ihm von einer Stimme, die er nicht gleich erkannte und die ihm doch wohlbekannt scheinen wollte, laut sein Name gerufen wurde. Als er sich umwandte, sah er einen großgewachsenen jungen Mann, mit einem Bärtchen im Gesicht, der stürmisch auf ihn zulief. Es war Plinio, und in einem Andrang von Erinnerung und Zärtlichkeit begrüßte er ihn herzlich. Sie verabredeten sich auf den Abend. Plinio, der längst seine Studentenzeit an den weltlichen Hochschulen hinter sich hatte und schon Beamter war, hatte sich für eine kurze Ferienzeit als Gast zu einem Glasperlenspielkurs eingefunden, wie er auch schon vor einigen Jahren einen absolviert hatte. Das abendliche Beisammensein brachte die beiden Freunde jedoch bald in Verlegenheit. Plinio war hier ein Gastschüler, ein geduldeter Dilettant von draußen, der zwar mit großem Eifer seinem Kurse folgte, aber einem Kurs für Außenstehende und Liebhaber, die Distanz war allzu groß; er saß einem Fachmann und Eingeweihten ge
genüber, der sogar noch durch seine Schonung und sein artiges Eingehen auf des Freundes Interesse für das Glasperlenspiel ihn fühlen lassen mußte, daß er hier kein Kollege, sondern ein Kind sei und an der Peripherie einer Wissenschaft sein Vergnügen fand, welche dem andern bis ins Innerste vertraut war. Knecht suchte das Gespräch vom Spiele abzulenken, er bat Plinio, ihm von seinem Amt, seiner Arbeit, seinem Leben dort draußen zu erzählen. Hier nun war Josef der Zurückgebliebene und das Kind, das ahnungslose Fragen stellte und vom andern schonend belehrt wurde. Plinio war Jurist, strebte nach politischem Einfluß, war im Begriff, sich mit der Tochter eines Parteiführers zu verloben, er sprach eine Sprache, welche Josef nur halb verstand, viele oft wiederkehrende Ausdrücke klangen ihm leer, wenigstens hatten sie für ihn keinen Inhalt. Es war immerhin zu merken, daß Plinio dort in seiner Welt etwas galt, Bescheid wußte und ehrgeizige Ziele hatte. Aber die zwei Welten, die sich einst vor zehn Jahren in den beiden Jünglingen neugierig und nicht ohne Sympathie berührt und befühlt hatten,
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