Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
seiner Stufe, die Ordensregeln schon ziemlich genau und erinnerte sich der Bestimmung, daß jedes Ordensmitglied, das eine amtliche Stellung des höhern Ranges innehatte, zur Vollziehung der Aufnahme befugt war. So sprach er die Bitte aus, vom Musikmeister die Zeremonie vollziehen zu lassen, bekam einen Ausweis und kurzen Urlaub und reiste am nächsten Tage zu seinem Gönner und Freunde nach Monteport. Er fand den ehrwürdigen alten Herrn etwas leidend, wurde jedoch mit Freude willkommen geheißen.
»Du kommst wie gerufen«, sagte der Alte. »In Bälde hätte ich die Befugnis nicht mehr besessen, dich als jungen Bruder in den Orden aufzunehmen. Ich bin im Begriff, mein Amt niederzulegen, meine Entlassung ist schon bewilligt.«
Die Zeremonie selbst war einfach. Am folgenden Tage lud der Musikmeister, wie es die Statuten verlangten, zwei Ordensbrüder als Zeugen ein, vorher hatte Knecht einen Satz der Ordensregel als Aufgabe für eine Meditationsübung bekommen. Es war der Satz: »Beruft dich die hohe Behörde in ein Amt, so wisse: jeder Aufstieg in der Stufe der Ämter ist nicht ein Schritt in die Freiheit, sondern in die Bindung. Je
höher das Amt, desto tiefer die Bindung. Je größer die Amtsgewalt, desto strenger der Dienst. Je stärker die Persönlichkeit, desto verpönter die Willkür.« Nun versammelte man sich in der Musikzelle des Magisters, derselben, in welcher Knecht einst seine erste Einführung in die Kunst des Meditierens erfahren hatte; der Meister forderte den Initianten auf, zur Feier der Stunde ein Choralvorspiel von Bach zu spielen, darauf las einer der Zeugen die gekürzte Fassung der Ordensregel vor, und der Musikmeister selbst stellte die rituellen Fragen und nahm dem jungen Freunde die Gelübde ab. Er schenkte ihm noch eine Stunde, sie saßen im Garten, und der Meister gab ihm freundliche Weisungen, in welchem Sinne er die Ordensregel sich zu eigen machen und nach ihr leben solle. »Es ist schön«, sagte er, »daß du in dem Augenblick, wo ich abtrete, in die Lücke trittst, es ist, als hätte ich einen Sohn, der künftig statt meiner seinen Mann stellen wird.« Und als er Josefs Gesicht traurig werden sah: »Nun, sei nicht betrübt, auch ich bin es nicht. Ich bin recht müde und freue mich auf die Muße, die ich noch genießen will und an deren Genuß du recht oft teilhaben wirst, so hoffe ich. Und wenn wir uns das nächste Mal wiedersehen, dann nenne mich du. Ich konnte dir das nicht anbieten, solange ich im Amt war.« Er entließ ihn mit dem herzgewinnenden Lächeln, das Josef nun schon seit zwanzig Jahren kannte.
Knecht kehrte rasch nach Waldzell zurück, er hatte nur drei Tage Urlaub von dort erhalten. Kaum war er zurück, so wurde er zum Magister Ludi gerufen, der ihn mit einer kollegialen Munterkeit empfing und zur Aufnahme in den Orden beglückwünschte. »Um uns vollends zu Kollegen und Arbeitskameraden zu machen«, fuhr er fort, »fehlt nur noch deine Einreihung an einen bestimmten Platz in unsrem Bau.« Josef erschrak ein wenig. Nun also sollte er seine Freiheit verlieren. »Ach«, sagte er schüchtern, »ich hoffe, man werde mich an irgendeinem bescheidenen Platz brauchen können. Doch hatte ich, um es Euch zu gestehen, allerdings gehofft, noch eine Weile frei studieren zu können.« Der Magister blickte ihm mit seinem klugen, leicht ironischen Lächeln fest in die Augen. »Eine Weile, sagst du, aber wie lang ist das?« Knecht lachte verlegen. »Ich weiß es wirklich nicht.« – »Das dachte ich mir«, stimmte der Meister zu, »du sprichst noch die Studentensprache und denkst noch in Studentenbegriffen, Josef Knecht, und das ist in Ordnung, aber es wird schon sehr bald nicht mehr in Ordnung sein, denn wir brauchen dich. Du weißt, daß du auch später, ja noch in den höchsten Ämtern unsrer Behörde, Urlaube zu Studienzwecken bekommen kannst, wenn du die Behörde vom Wert dieser Studien zu überzeugen vermagst; mein Vorgänger und Lehrer hat zum Beispiel noch als Magister Ludi und alter Mann ein volles Jahr Urlaub für seine Lon
doner Archivstudien erbeten und bekommen. Aber er bekam seinen Urlaub nicht für ›eine Weile‹, sondern für eine bestimmte Zahl von Monaten, Wochen, Tagen. Damit wirst du künftig rechnen müssen. Und jetzt habe ich dir einen Vorschlag zu machen; wir brauchen einen verantwortlichen Mann, den man außerhalb unsres Kreises noch nicht kennt, für eine besondere Mission.«
Es handelte sich um folgenden Auftrag: das Benediktinerkloster Mariafels, eine
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