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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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auch als Lehrer nicht zu verachten. In den höhern und höchsten Wiederholungskursen – für die untern ist er mir zu schade – wüßte ich mich ohne ihn kaum mehr zu behelfen; wie er die Probespiele der Jünglinge analysiert, ohne sie je zu entmutigen, wie er ihnen hinter die Schliche kommt, alles Nachgeahmte oder nur Dekorative unfehlbar erkennt und bloßlegt, wie er in einem gut fundierten, aber noch unsichern und verkomponierten Spiel die Fehlerquellen findet und aufzeigt wie tadellose anatomische Präparate, ist et
was ganz Einziges. Dieser unbestechliche und scharfe Blick beim Analysieren und Korrigieren ist es vor allem, der ihm die Achtung der Schüler und Kollegen sichert, welche sonst durch sein unsicheres und ungleiches, schüchtern-scheues Auftreten stark in Frage gestellt wäre. Was ich über die Genialität des T. als Glasperlenspieler sagte, die ganz ohne ihresgleichen ist, möchte ich durch ein Beispiel illustrieren. In der ersten Zeit meiner Freundschaft mit ihm, als wir beide in den Kursen schon nicht mehr viel an Technik zu lernen fanden, gab er mir einmal in einer Stunde besonderen Vertrauens Einblick in einige Spiele, die er damals komponiert hatte. Ich fand sie auf den ersten Blick glänzend erfunden und irgendwie neuartig und originell im Stil, bat mir die aufgezeichneten Schemata zum Studium aus und fand in diesen Spielkompositionen, richtigen Dichtungen, etwas so Erstaunliches und Eigenartiges, daß ich es hier nicht glaube verschweigen zu dürfen. Diese Spiele waren kleine Dramen von beinahe rein monologischer Struktur und spiegelten das individuelle, ebenso gefährdete wie geniale Geistesleben ihres Autors wider wie ein vollkommenes Selbstbildnis. Es wurde nicht nur zwischen den verschiedenen Themen und Themengruppen, auf denen das Spiel ruhte und deren Folge und Gegenüberstellung sehr geistreich war, dialektisch konzertiert und gestritten, sondern es wurde auch die Synthese und Harmonisierung der gegen
sätzlichen Stimmen nicht in der üblichen, der klassischen Weise aufs Letzte gebracht, vielmehr erlitt diese Harmonisierung eine ganze Reihe von Brechungen und blieb jedesmal, wie ermüdet und verzweifelt, vor der Auflösung stehen und verklang in Frage und Zweifel. Es bekamen jene Spiele dadurch nicht nur eine aufregende und meines Wissens bisher nie gewagte Chromatik, sondern die ganzen Spiele wurden zum Ausdruck eines tragischen Zweifels und Verzichtes, sie wurden zur bildhaften Feststellung der Fragwürdigkeit jeder geistigen Bemühung. Dabei waren sie in ihrer Geistigkeit sowohl wie in ihrer spieltechnischen Kalligraphie und Vollendung so außergewöhnlich schön, daß man darüber hätte weinen können. Jedes dieser Spiele strebte so innig und ernsthaft zur Lösung und verzichtete auf die Lösung schließlich mit so edler Entsagung, daß es wie eine vollkommene Elegie auf die allem Schönen inwohnende Vergänglichkeit und die allen hohen Geisteszielen letztlich inwohnende Fragwürdigkeit war. – Item, Tegularius sei, falls er mich oder meine Amtsdauer überlebt, als ein äußerst zartes, kostbares, aber gefährdetes Gut empfohlen. Er soll sehr viel Freiheit genießen, sein Rat soll in allen Spielfragen von Wichtigkeit gehört werden. Doch sollen ihm Schüler nie zur alleinigen Leitung anvertraut werden.«
    Dieser merkwürdige Mann war im Lauf der Jahre wirklich Knechts Freund geworden. Er war gegen
Knecht, in dem er außer dem Geist auch etwas wie eine Herrennatur bewunderte, von einer rührenden Ergebenheit, und vieles, was wir über Knecht wissen, ist durch ihn überliefert. Er war vielleicht im engsten Kreis der jüngern Glasperlenspieler der einzige, der seinen Freund wegen des ihm gewordenen Auftrags nicht beneidete, und der einzige, für welchen dessen Abberufung auf ungewisse Zeit ein so tiefer, beinahe unerträglicher Schmerz und Verlust war.
    Josef selbst empfand den neuen Zustand, sobald er jenen gewissen Schreck über das plötzliche Verlorengehen seiner geliebten Freiheit überwunden hatte, freudig, er spürte Lust zur Reise, Lust zur Betätigung und Neugierde auf die fremde Welt, in die man ihn sandte. Übrigens ließ man den jungen Ordensbruder nicht ohne weiteres nach Mariafels reisen; er wurde zuerst drei Wochen in die »Polizei« gesteckt. So hieß unter den Studenten jene kleine Abteilung im Apparat der Erziehungsbehörde, welche man etwa ihr Politisches Departement oder auch ihr Außenministerium nennen könnte, wenn dies nicht doch etwas gar zu großartige

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