Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
durch seine Musikpflege, seinen vielgepriesenen Chor, durch die von seinen Patres geschriebenen und aufgeführten Messen und Oratorien; von damals her besaß es noch immer eine schöne musikalische Tradition, ein halbes Dutzend nußbaumener Truhen voll musikalischer Manuskripte und die schönste Orgel des Landes. Dann war die politische Zeit des Klosters gekommen; auch sie hatte eine gewisse Tradition und Übung zurückgelassen. In Zeiten schlimmer kriegerischer Verwilderung war Mariafels mehrmals zur kleinen Insel der Besinnung und Vernunft geworden, auf der die besseren Köpfe der feindlichen Parteien vorsichtig einander suchten und nach Verständigung tasteten, und einmal – das war der letzte Höhepunkt in seiner Geschichte – war Mariafels Geburtsort eines Friedensschlusses geworden, der die Sehnsucht erschöpfter Völker für eine Weile stillte. Als dann ei
ne neue Zeit begann und Kastalien begründet war, verhielt das Kloster sich abwartend, ja ablehnend, vermutlich nicht ohne sich darüber in Rom Weisung geholt zu haben. Ein Gesuch der Erziehungsbehörde um Gastfreundschaft für einen Gelehrten, der einige Zeit in der scholastischen Bibliothek des Klosters arbeiten wollte, wurde höflich abgelehnt, ebenso die Einladung, einen Vertreter zu einer musikgeschichtlichen Tagung zu senden. Erst seit dem Abt Pius, der noch in vorgerücktem Alter sich lebhaft für das Glasperlenspiel zu interessieren anfing, entstand Verkehr und Austausch und war seither zu einer nicht gerade lebhaften, aber freundschaftlichen Beziehung geworden. Man tauschte Bücher, gewährte gegenseitige Gastfreundschaft; auch Knechts Gönner, der Musikmeister, war in jungen Jahren einige Wochen in Mariafels gewesen, hatte Notenhandschriften kopiert und die berühmte Orgel gespielt. Knecht wußte davon und freute sich auf den Aufenthalt an einem Orte, von dem er den Verehrten gelegentlich mit Freude hatte erzählen hören.
Man empfing ihn über sein Erwarten mit einer Auszeichnung und Artigkeit, die ihn beinahe verlegen machte. Es war ja auch das erstemal, daß Kastalien dem Kloster für unbestimmte Zeit einen Glasperlenspiellehrer aus der Elite zur Verfügung stellte. Er hatte beim Vorstand Dubois gelernt, sich namentlich in der ersten Zeit seiner Gastrolle nicht als Per
son, nur als Vertreter Kastaliens anzusehen und Artigkeiten sowohl wie etwaige Distanzierung lediglich als Abgesandter zur Kenntnis zu nehmen und zu erwidern; das half ihm über die ersten Befangenheiten hinweg. Auch des anfänglichen Gefühls von Fremdheit und der Bangigkeit und leisen Erregtheit der ersten Nächte, in denen er wenig Schlaf genoß, wurde er Meister, und da der Abt Gervasius ihm ein gutmütiges und munteres Wohlwollen zeigte, wurde ihm rasch in der neuen Umwelt wohl. Es erfreute ihn die Frische und Kraft der Landschaft, einer rauhen Berglandschaft mit schroffen Felswänden und saftigen Weiden voll schönen Viehes dazwischen; es beglückte ihn die Wucht und Weiträumigkeit der alten Bauten, welchen die Geschichte vieler Jahrhunderte abzulesen war, es gewann ihn die Schönheit und einfache Behaglichkeit seiner Wohnung, zweier Räume im oberen Stockwerk des langen Gästeflügels, es behagten ihm die Forschungsgänge durch den stattlichen kleinen Staat mit zwei Kirchen, Kreuzgängen, Archiv, Bibliothek, Abtwohnung, mehreren Höfen, mit ausgedehnten Stallbauten voll wohlgehaltenen Viehes, sprudelnden Brunnen, gewölbten riesigen Wein- und Obstkellern, mit zwei Refektorien, dem berühmten Kapitelsaal, den gepflegten Gärten sowie den Werkstätten der Laienbrüder, des Böttchers, Schuhmachers, Schneiders, Schmiedes und so weiter, welche um den größten Hof ein kleines Dorf bilde
ten. Schon hatte er Zutritt zur Bibliothek, schon hatte ihm der Organist die herrliche Orgel gezeigt und ihm erlaubt, auf ihr zu spielen, und nicht wenig lockten ihn die Notentruhen, wo er eine stattliche Zahl von unveröffentlichten, zum Teil überhaupt noch unbekannten Musikmanuskripten früherer Epochen warten wußte.
Auf den Beginn seiner amtlichen Funktion schien man im Kloster nicht eben ungeduldig zu warten, es dauerte nicht nur Tage, es dauerte Wochen, bis man dem eigentlichen Ziel seines Hierseins ernstlich nähertrat. Zwar hatten sich vom ersten Tage an einige Patres, und namentlich auch der Abt selber, gern mit Josef über das Glasperlenspiel unterhalten, aber von einem Unterricht oder sonst einer systematischen Tätigkeit war noch nicht die Rede. Auch sonst bemerkte Knecht im
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