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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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einander sehr genau, peinlich genau, es gab hier nahezu keine Täuschungen über Begabungen, Charaktere und Leistungen. Und gerade weil hier, unter diesen Repetenten der Spielstudien und Aspiranten auf die höheren Würden, jeder eine überdurchschnittliche und beachtenswerte Kraft war, jeder den Leistungen, dem Wissen, den Zeugnissen nach vom ersten Range, gerade darum spielten jene Züge und Färbungen der Charaktere, welche einen Prätendenten zum Führer und Mann des Erfolges prädestinieren, eine besonders große und aufmerksam beobachtete Rolle. Ein Plus oder Minus an Ehrgeiz, an gutem Auftreten, an Körpergröße oder hübscher Erscheinung, ein kleines Plus oder Minus an Charme, an Wirkung auf Jüngere oder auf die Behörden, an Liebenswürdigkeit war hier von großem Gewicht und konnte im Wettbewerb entscheiden. So wie etwa Fritz Tegularius diesem Kreise nur als Outsider, als Gast und Geduldeter und gewissermaßen nur seiner Peripherie angehörte, weil er sichtlich keine Herrschergaben besaß, so gehörte Knecht zum innersten Zirkel. Was ihn den Jungen empfahl und ihm Anbe
ter warb, war seine Frische und noch ganz jugendliche Anmut, welche dem Anschein nach den Leidenschaften unzugänglich, unbestechlich und auch wieder kindlich-unverantwortlich war, eine gewisse Unschuld also. Und was ihn den Oberen angenehm machte, war die andre Seite dieser Unschuld: sein fast völliger Mangel an Ehrgeiz und Strebertum.
    In jüngster Zeit waren die Wirkungen seiner Persönlichkeit, die nach unten zuerst und erst allmählich und zuletzt auch die nach oben, dem jungen Manne bewußt geworden, und wenn er von diesem Standpunkt des Wachgewordenen zurücksah, fand er beide Linien bis in die Knabenzeit zurück sein Leben durchlaufen und formen: die werbende Freundschaft, die ihm von Kameraden und Jüngeren dargebracht wurde, und die wohlwollende Aufmerksamkeit, mit der viele Vorgesetzte ihn behandelt hatten. Es hatte Ausnahmen gegeben, wie den Rektor Zbinden, aber dafür auch solche Auszeichnungen wie die Gönnerschaft des Musikmeisters und neuerdings die des Herrn Dubois und des Magister Ludi. Es war alles eindeutig, und dennoch hatte Knecht es nie ganz sehen und gelten lassen wollen. Es war sichtlich der ihm vorgezeichnete Weg, wie von selbst und ohne Streben überall in die Elite zu geraten, bewundernde Freunde und hochstehende Gönner zu finden, es war sein Weg, sich nicht an der Basis der Hierarchie im Schatten niederlassen zu dürfen, sondern sich stetig ihrer Spit
ze und dem hellen Licht, in dem sie stand, zu nähern. Er würde nicht ein Subalterner und nicht ein Privatgelehrter, sondern ein Herr sein. Daß er dies später als andre, ähnlich Gestellte bemerkte, gab ihm jenes nicht zu beschreibende Mehr an Zauber, jenen Klang von Unschuld. Und warum bemerkte er es so spät, ja so widerwillig? Weil er dies alles ja gar nicht angestrebt hatte und nicht wollte, weil ihm Herrschen kein Bedürfnis, Befehlen kein Vergnügen war, weil er viel mehr das kontemplative als das aktive Leben begehrte und zufrieden gewesen wäre, noch manche Jahre, wenn nicht sein ganzes Leben, ein unbeachteter Studierender zu bleiben, neugieriger und ehrfürchtiger Pilger durch die Heiligtümer der Vergangenheit, die Kathedralen der Musik, die Gärten und Wälder der Mythologien, der Sprachen und Ideen. Nun, da er sich unerbittlich in die vita activa gestoßen sah, spürte er weit stärker als bisher die Spannungen des Strebens, des Wettbewerbes, des Ehrgeizes in seiner Umgebung, spürte seine Unschuld bedroht und nicht mehr haltbar. Er sah ein, daß er das ihm ungewollt Zugewiesene und Bestimmte nun wollen und bejahen müsse, um das Gefühl des Gefangenseins und das Heimweh nach der verlorenen Freiheit der letzten zehn Jahre zu überwinden, und da er hierzu im Innern noch nicht so ganz disponiert war, empfand er den vorläufigen Abschied von Waldzell und der Provinz und die Reise in die Welt hinaus als Erlösung.
    Das Stift und Kloster Mariafels hatte in vielen Jahrhunderten seines Bestehens die Geschichte des Abendlandes mitbestimmt und miterlitten, es hatte Blütezeiten, Niedergänge, Wiedergeburten und neue Tiefstände erlebt und war zu manchen Zeiten und auf verschiedenen Gebieten berühmt und glänzend gewesen. Einst ein Hochsitz scholastischer Gelehrsamkeit und Disputierkunst und noch heute im Besitz einer gewaltigen Bibliothek der mittelalterlichen Theologie, war es nach Zeiten des Erschlaffens und der Trägheit zu neuem Glanz gekommen, diesmal

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