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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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gewissenhafter Beamter, seinem Meister unbedingt ergeben; dennoch war er im Lauf der letzten Jahre bei den Beamten eher unbeliebt geworden und hatte die nachwachsende jüngste
Schicht der Elite gegen sich, und da er nicht die ritterlich klare Natur seines Meisters besaß, störte das die Sicherheit und Ruhe seiner Haltung. Der Magister ließ ihn nicht fallen, hatte ihn aber seit Jahren den Reibungen mit jener Elite möglichst entzogen, ihn überhaupt immer seltener an die Öffentlichkeit gestellt und mehr in den Kanzleien und im Archiv verwendet. Dieser unbescholtene, aber nicht oder doch zur Zeit nicht mehr beliebte Mann, vom Glück sichtlich nicht begünstigt, sah sich nun plötzlich durch die Krankheit seines Meisters an die Spitze des Vicus Lusorum und, falls er wirklich das Jahresspiel zu leiten haben würde, für die Festzeit an den sichtbarsten Posten der ganzen Provinz gestellt und wäre dieser großen Aufgabe nur dann gewachsen gewesen, wenn die Mehrzahl der Glasperlenspieler oder doch die Repetentenschaft ihn durch ihr Vertrauen gestützt hätte, was jedoch bedauerlicherweise nicht geschah. So kam es denn, daß das Ludus sollemnis diesmal zu einer schweren Prüfung, beinahe zu einer Katastrophe für Waldzell wurde.
    Erst am Tage vor Spielbeginn wurde amtlich bekanntgegeben, daß der Magister ernstlich erkrankt und außerstande sei, das Spiel zu leiten. Wir wissen nicht, ob diese Hintanhaltung der Mitteilung etwa vom Willen des kranken Magisters diktiert war, der vielleicht bis zum letzten Augenblick hoffte, sich wieder aufraffen und dem Spiele doch noch vorstehen zu
können. Wahrscheinlich ist, daß er schon zu krank war, um solche Gedanken zu hegen, und daß sein »Schatten« den Fehler beging, Kastalien bis zur vorletzten Stunde im ungewissen über die Lage in Waldzell zu lassen. Freilich ließe sich auch darüber noch streiten, ob dies Zögern wirklich ein Fehler war. Es geschah ohne Zweifel in guter Absicht, nämlich um das Fest nicht von vornherein zu mißkreditieren und die Verehrer des Meisters Thomas vom Besuch abzuschrecken. Und wäre alles gut gegangen, hätte zwischen der Waldzeller Spielergemeinde und Bertram das Vertrauen bestanden, so hätte – es ist sehr wohl denkbar – der »Schatten« wirklich zum Stellvertreter werden und das Fehlen des Magisters nahezu unbemerkt bleiben können. Es ist müßig, weitere Vermutungen hierüber aufzustellen; wir glaubten nur andeuten zu müssen, daß jener Bertram nicht so unbedingt ein Versager oder gar ein Unwürdiger war, wie die öffentliche Meinung Waldzells damals ihn sah. Er war weit mehr Opfer als Schuldiger.
    Es vollzog sich nun wie alljährlich der Zustrom der Gäste zum großen Spiel. Viele kamen ahnungslos, andre mit Besorgnis um das Ergehen des Magister Ludi und mit unfrohen Vorgefühlen für den Verlauf des Festes. Waldzell und die nahen Siedlungen füllten sich mit Menschen, die Ordensleitung und die Erziehungsbehörde fanden sich beinahe vollzählig ein, auch aus entlegenern Teilen des Landes und dem Aus
land kamen festlich gestimmte Reisende, die Gästehäuser überfüllend. Wie immer wurde die Feier am Abend vor Spielbeginn durch die Meditationsstunde eröffnet, während welcher vom Glockenzeichen an das ganze mit Menschen gefüllte Festgebiet in ein tiefes, andächtiges Schweigen versank. Der folgende Morgen brachte die erste der musikalischen Aufführungen und die Verkündigung des ersten Spielsatzes sowie die Meditation über die beiden musikalischen Themata dieses Satzes. Bertram, in der Festtracht des Glasperlenspielmeisters, zeigte ein gemessenes und beherrschtes Auftreten, nur war er sehr blaß und erschien in der Folge von Tag zu Tag mehr überanstrengt, leidend und resigniert, in den letzten Tagen glich er wirklich einem Schatten. Schon am zweiten Spieltage verbreitete sich das Gerücht, Magister Thomas' Befinden habe sich verschlechtert und sein Leben sei in Gefahr, und am Abend dieses Tages vernahm man da und dort und überall unter den Eingeweihteren die ersten Beiträge zu der allmählich entstehenden Legende um den kranken Meister und seinen »Schatten«. Diese Legende, vom innersten Kreis des Vicus Lusorum, der Repetentenschaft ausgehend, wollte wissen, der Meister sei willens und wäre auch fähig gewesen, als Spielleiter zu amtieren, habe jedoch dem Ehrgeiz seines »Schattens« das Opfer gebracht und diesem die festliche Aufgabe überlassen. Nun aber, da Bertram seiner hohen Rolle eben doch nicht ganz
gewachsen scheine

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