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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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Gründung des kastalischen Ordens ebenso wie die allmähliche Wiedererhebung Roms aus einer demütigenden Prüfungszeit gehörten. Er empfahl ihm auch zwei Werke über die Reformation und Kirchenspaltung im sechzehnten Jahrhundert, legte ihm jedoch sehr ans Herz, grundsätzlich das unmittelbare Quellenstudium und die jeweilige Beschränkung auf übersehbare Teilgebiete stets dem Lesen weltgeschichtlicher Wälzer vorzuziehen, und machte kein Hehl aus seinem tiefen Mißtrauen gegen alle Geschichtsphilosophien.

Magister Ludi
    Knecht hatte beschlossen, seine endgültige Rückkehr nach Waldzell auf das Frühjahr zu verlegen, auf die Zeit des großen öffentlichen Glasperlenspiels, des Ludus anniversarius oder sollemnis. War auch der Höhepunkt in der denkwürdigen Geschichte dieser Spiele, die Zeit der wochenlang dauernden, aus aller Welt von Würdenträgern und Repräsentanten besuchten Jahresspiele schon vorüber und gehörte für
immer der Geschichte an, so waren doch immer noch diese Frühlingstagungen mit dem meist zehn bis vierzehn Tage dauernden solennen Spiel das große festliche Ereignis des Jahres für ganz Kastalien, ein Fest, dem auch eine hohe religiöse und moralische Bedeutung nicht fehlte, denn es vereinigte die Vertreter aller, nicht immer völlig gleichgerichteter Gesinnungen und Tendenzen der Provinz im Sinn eines Gleichnisses der Harmonie, es schloß Frieden zwischen den Egoismen der einzelnen Disziplinen und weckte die Erinnerung an die Einheit, welche über ihrer Vielfalt stand. Es besaß für die Gläubigen die sakramentale Kraft echter Weihe, war für die Glaubenslosen zumindest ein Religionsersatz und für beide ein Bad in den reinen Quellen des Schönen. In ähnlicher Weise waren einstmals die Passionen von Johann Sebastian Bach – nicht so sehr zur Zeit ihrer Entstehung als in dem auf ihre Wiederentdeckung folgenden Jahrhundert – für ihre Mitwirkenden und Hörer teils echte religiöse Handlung und Weihe, teils Andacht und Religionsersatz und für alle zugleich feierliche Manifestationen der Kunst und des Creator spiritus gewesen.
    Es hatte Knecht wenig Mühe gekostet, für seinen Entschluß die Zustimmung sowohl der Klosterleute wie der heimatlichen Behörde zu erlangen. Er vermochte sich noch nicht recht vorzustellen, welcher Art seine Position nach der Wiedereinreihung in die
kleine Republik des Vicus Lusorum sein werde, vermutete aber, daß man ihn nicht lange in dieser Position belassen, sondern sehr bald mit irgendeinem Amte oder Auftrag beladen und ehren werde. Vorläufig freute er sich auf die Heimkehr, auf die Freunde, auf die bevorstehende Festzeit, genoß die letzten Tage des Zusammenseins mit Pater Jakobus und nahm es mit guter Haltung und Laune entgegen, daß Abt und Konvent ihn zum Abschied noch durch manche Kundgebungen ihres Wohlwollens feierten. Dann reiste er, nicht ohne Wehmut des Abschieds von einem liebgewonnenen Ort und von einem hinter ihm zurückbleibenden Lebensabschnitt, aber durch die das Festspiel vorbereitende Folge kontemplativer Exerzitien schon festlich vorgestimmt, denen er sich zwar ohne Führung und Kameraden, aber nach dem Wortlaut der Vorschriften genauestens unterzogen hatte. Daß es ihm nicht gelungen war, den vom Magister Ludi seit langem feierlich zum Jahresspiel eingeladenen Pater Jakobus zur Annahme der Einladung und zur Mitreise zu überreden, tat dieser Stimmung keinen Abbruch, er verstand die reservierte Haltung des alten Antikastaliers, und er selbst fühlte sich so für einen Augenblick allen Pflichten und Beengungen enthoben und völlig hingabebereit an die ihn erwartende Feier.
    Es ist nun mit Festlichkeiten eine eigene Sache. Ganz und gar mißglücken kann ein echtes Fest, es sei
denn durch unseligen Einbruch höherer Gewalten, niemals; für den Frommen behält auch eine verregnete Prozession ihre Weihe, und auch ein angebranntes Festmahl kann ihn nicht ernüchtern, und so ist für die Glasperlenspieler jedes Jahresspiel festlich und gewissermaßen geheiligt. Dennoch gibt es, wie jeder von uns weiß, Feste und Spiele, bei welchen alles und jedes zusammenstimmt und einander hebt, beschwingt und steigert, so wie es theatralische und musikalische Aufführungen gibt, welche sich ohne deutlich erkennbare Ursache wie durch ein Wunder zu Höhepunkten und innigen Erlebnissen steigern, während andre, um nichts schlechter vorbereitete, nur eben brave Leistungen bleiben. Soweit nun das Zustandekommen jener hohen Erlebnisse im Gemütszustand des

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