Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
zu seinen Richtern. Waren sie unerbittlich, so war der »Schatten« erledigt. Und wirklich kehrte dieser Bertram von seinem Ausflug in die Berge nicht mehr zurück, und nach einer Weile wurde erzählt, er sei an einer Steilwand zu Tode gestürzt. Weiter wurde nicht darüber gesprochen.
Unterdessen erschienen jeden Tag hohe und höchste Beamte der Ordensleitung und der Erziehungsbehörde im Spielerdorf, und jeden Augenblick wurden einzelne aus der Elite wie aus der Beamtenschaft zu Befragungen abgerufen, über deren Inhalt nur innerhalb der Elite selbst dieses und jenes verlautete. Auch Josef Knecht wurde des öftern abgerufen und befragt; einmal von zwei Herren der Ordensleitung, einmal vom philologischen Magister, dann von Monsieur Dubois, und nochmals von zwei Magistern. Tegularius, welcher ebenfalls zu einigen solchen Informationen berufen wurde, war angenehm aufgeregt
und machte Witze über diese Konklavestimmung, wie er sie nannte. Josef hatte schon während der Spieltage wohl bemerkt, wie wenig von seinem einstigen engen Zusammenhang mit der Elite übriggeblieben war, und bekam es während dieser Konklavezeit noch deutlicher zu fühlen. Nicht nur, daß er im Gästehaus wohnte wie ein Fremder und daß die Oberen mit ihm wie mit ihresgleichen zu verkehren schienen; die Elite selbst, die Repetentenschaft, nahm ihn nicht wieder vertraulich und kameradschaftlich auf, sondern mit einer spöttischen Höflichkeit oder zumindest mit einer abwartenden Kühle; sie war schon damals von ihm abgerückt, als er den Ruf nach Mariafels erhalten hatte, und dies war richtig und natürlich: wer den Schritt von der Freiheit in den Dienst, von der Studenten- oder Repetentenschaft in die Hierarchie einmal getan hatte, war nicht mehr Kamerad, sondern auf dem Wege zum Vorgesetzten und Bonzen, er gehörte nicht mehr der Elite an und mußte wissen, daß diese vorläufig kritisch zu ihm stehen werde. So ging es jedem in seiner Lage. Nur spürte er die Distanzierung und Kühle um diese Zeit besonders stark, einmal weil die Elite jetzt, wo sie verwaist war und einen neuen Magister erhalten sollte, sich doppelt dicht und abwehrend zusammenschloß, und dann auch, weil ihre Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit sich soeben im Schicksal des »Schattens« Bertram so hart gezeigt hatte.
Eines Abends kam Tegularius höchst aufgeregt ins Gästehaus gelaufen, suchte Josef, zog ihn in eine leere Kammer, schloß die Tür und sprudelte los: »Josef! Josef! Mein Gott, ich hätte es doch ahnen können, ich hätte es wissen müssen, es lag ja gar nicht so fern . . . Ach, ich bin ganz außer mir und weiß wahrhaftig nicht, ob ich mich freuen soll.« Und er, der alle Nachrichtenquellen im Spielerdorf genauestens kannte, berichtete eifrig: es sei mehr als wahrscheinlich, es sei schon so gut wie gewiß, daß Josef Knecht zum Glasperlenspielmeister gewählt werden würde. Der Archivleiter, den viele für den prädestinierten Nachfolger des Meisters Thomas gehalten hatten, sei schon seit vorgestern offenkundig aus der engern Wahl ausgeschieden, und von den drei Kandidaten aus der Elite, deren Namen bisher in den Befragungen obenan standen, habe anscheinend keiner die spezielle Gunst und Empfehlung eines Magisters oder der Ordensleitung hinter sich stehen, während für Knecht sowohl zwei Mitglieder der Ordensleitung wie Herr Dubois einträten, und hinzu käme die gewichtige Stimme des Alt-Musikmeisters, der dieser Tage, wie man bestimmt wisse, von mehreren Magistern persönlich aufgesucht worden sei.
»Josef, sie machen dich zum Magister«, stieß er nochmals heftig hervor, da legte sein Freund ihm die Hand auf den Mund. Josef war im ersten Augenblick von der Vermutung kaum weniger überrascht
und ergriffen als Fritz, und sie hatte ihm ganz und gar unmöglich geschienen, aber schon während jener die Spielerdorfmeinungen über den Stand und Verlauf des »Konklave« mitteilte, begann Knecht einzusehen, daß die Vermutung des Freundes nicht fehlgehe. Vielmehr, er spürte etwas wie ein Ja in seiner Seele, etwas wie die Empfindung, er habe es ja gewußt und erwartet, es sei ja richtig und natürlich. Nun also legte er dem erregten Kameraden die Hand auf den Mund, sah ihn fremd und verweisend, wie aus einer plötzlich vorhandenen Distanz und Ferne an und sagte: »Sprich nicht soviel, Amice; ich will diesen Klatsch nicht wissen. Geh zu deinen Kameraden.«
Tegularius, soviel er noch hätte sagen mögen, verstummte vor diesem Blick, aus dem ein neuer, ihm noch
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