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Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften

Titel: Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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vornehmen Wesens zusammen mit seiner Klugheit und seinem zart ausgebildeten Sinn für Formen hatten ihn zu einem Regenten und Repräsentanten gemacht, wie ihn das im Grunde ganz demokratisch angelegte Kastalien nicht zu allen Zeiten hervorbrachte. Man war stolz auf ihn gewesen. Schien seine Person den Bezirken der Leidenschaft, der Liebe, der Freundschaft entrückt, so war sie ein desto geeigneterer Gegenstand für das Verehrungsbedürfnis der Heranwachsenden gewesen, und diese Würde und fürstliche Grazie, die ihm übrigens den halb zärtlich gemeinten Spottnamen »die Exzellenz« eingetragen, hatte ihm trotz harter Widerstände im Lauf der Jahre auch im hohen Rat, in den Sitzungen und gemeinsamen Arbeiten der Erziehungsbehörde eine etwas gesonderte Stellung gegeben. Die Frage der Wiederbesetzung seines hohen Amtes wurde natürlich eifrig besprochen, nirgends eifriger als in der Elite der Glasperlenspieler. Die Funktionen des Magisteramtes waren nach dem Ausscheiden und der Abreise des »Schattens«, dessen Sturz man in diesem Kreise gewollt und erreicht hatte, von der Elite selbst durch Abstimmung
an drei provisorische Vertreter verteilt worden, das heißt natürlich nur die internen Funktionen im Vicus Lusorum, nicht die behördlichen im Erziehungsrat. Dem Herkommen gemäß würde dieser das Magistrat nicht länger als drei Wochen unbesetzt lassen. In Fällen, wo ein sterbender oder ausscheidender Magister einen dezidierten, konkurrenzlosen Nachfolger hinterließ, war das Amt sogar sofort, nach nur einer einzigen Vollsitzung der Behörde, neu besetzt worden. Diesmal würde es wohl länger dauern.
    Während der Trauertage sprach Josef Knecht mit seinem Freunde gelegentlich über das beendete Spiel und seinen so merkwürdig verdüsterten Verlauf.
    »Dieser Stellvertreter Bertram«, sagte Knecht, »hat seine Rolle nicht nur leidlich zu Ende geführt, das heißt einen wirklichen Magister bis zuletzt zu spielen versucht, sondern hat meines Erachtens weit mehr getan, er hat sich diesem Ludus sollemnis als seiner letzten und feierlichsten Amtshandlung zum Opfer gebracht. Ihr wart hart, nein, grausam gegen ihn, ihr hättet das Fest und hättet Bertram retten können und habt es nicht getan, ich erlaube mir kein Urteil darüber, ihr werdet Gründe gehabt haben. Jetzt aber, wo dieser arme Bertram ausgeschieden ist und ihr euren Willen durchgesetzt habt, solltet ihr großmütig sein. Ihr müßt ihm, wenn er wieder erscheint, entgegenkommen und zeigen, daß ihr sein Opfer verstanden habt.«
    Tegularius schüttelte den Kopf. »Wir haben es verstanden«, sagte er, »und haben es angenommen. Du warst so glücklich, das Spiel diesmal als Gast und parteilos mitmachen zu dürfen, darum hast du wohl den Vorgang nicht so genau verfolgt. Nein, Josef, wir werden keine Gelegenheit mehr haben, irgendwelche Gefühle für Bertram in die Tat umzusetzen. Er weiß, daß sein Opfer notwendig war, und wird nicht versuchen, es rückgängig zu machen.«
    Erst jetzt verstand Knecht ihn ganz und verstummte betrübt. Er hatte, so sah er, in der Tat diese Spieltage nicht als ein richtiger Waldzeller und Kamerad miterlebt, sondern wirklich mehr wie ein Gast, und so begriff er erst jetzt, wie es eigentlich mit Bertrams Opfer beschaffen sei. Bisher war ihm Bertram als ein Ehrgeiziger erschienen, der einer über sein Vermögen gehenden Aufgabe erlegen war, der auf weitere Ziele des Ehrgeizes verzichten und zu vergessen suchen mußte, daß er einmal der »Schatten« eines Meisters und der Leiter eines Jahresspiels gewesen war. Jetzt erst, bei seines Freundes letzten Worten, hatte er – und war dabei jäh verstummt – begriffen, daß Bertram von seinen Richtern völlig verurteilt worden war und nicht zurückkehren würde. Man hatte ihm erlaubt, das Festspiel zu Ende zu führen, und hatte dabei gerade so viel mitgeholfen, daß es ohne Skandal ablief, aber man hatte das nicht getan, um Bertram, sondern um Waldzell zu schonen.
    Die Stellung eines »Schattens« verlangte nun einmal nicht nur das volle Vertrauen des Magisters – daran hatte es Bertram nicht gefehlt –, sondern nicht minder das Vertrauen der Elite, und dies hatte sich der Bedauernswerte nicht zu erhalten vermocht. Beging er einen Fehler, so stand hinter ihm nicht, wie hinter seinem Herrn und Vorbild, die Hierarchie, um ihn zu schützen. Und wurde er von seinen ehemaligen Kameraden nicht für voll anerkannt, so stand keine Autorität ihm bei, und seine Kameraden, die Repetenten, wurden

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