Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
enttäuschend, ihn hinter seiner Krankheit verborgen und sich an andere Instanzen gewiesen zu finden. Es entschädigte ihn dafür allerdings das achtungsvolle Wohlwollen, ja die Kollegialität, mit der ihn der Ordenssekretär und Herr Dubois empfingen und anhörten. Er konnte auch gleich bei der ersten Aussprache feststellen, daß man ihn bei dem römischen Plan vorerst nicht weiter zu brau
chen gedenke und seinen Wunsch nach dauernder Rückkehr zum Spiel respektiere; vorerst lud man ihn freundlich ein, im Gästehaus des Vicus Lusorum Wohnung zu nehmen und erst einmal sich hier wieder umzusehen und dem Jahresspiel beizuwohnen. Mit seinem Freunde Tegularius widmete er die Vortage den Fasten- und Versenkungsübungen und hat jenes eigenartige Spiel, das manchen in so wenig erfreulicher Erinnerung geblieben ist, fromm und dankbar mitgemacht.
Die Stellung der Magisterstellvertreter, auch »Schatten« genannt, und besonders die beim Musik- und beim Spielmeisteramt, ist eine höchst eigentümliche. Jeder der Magister hat einen Stellvertreter, den ihm nicht etwa die Behörde zur Seite stellt, sondern den er selbst aus dem engeren Kreis seiner Kandidaten wählt und für dessen Handlungen und Unterschrift der Meister selbst, den er vertritt, die volle Verantwortung trägt. Es ist also für einen Kandidaten eine große Auszeichnung und ein Zeichen höchsten Vertrauens, wenn er von seinem Magister zum Stellvertreter ernannt wird, er wird dadurch als intimer Mitarbeiter und rechte Hand des allmächtigen Magisters anerkannt und übt jedesmal, wenn der Magister verhindert ist und ihn schickt, dessen Amtshandlungen aus, allerdings nicht alle: an Abstimmungen der obersten Behörde zum Beispiel darf er nur als Überbringer eines Ja oder Nein im Namen seines Meisters auf
treten, niemals als Redner oder Antragsteller, und was dergleichen Vorsichtsmaßregeln mehr sind. Während nun die Ernennung zum Stellvertreter diesen an einen sehr hohen und zuweilen recht exponierten Platz stellt, bedeutet sie dennoch zugleich etwas wie eine Kaltstellung, sie sondert ihn innerhalb der amtlichen Hierarchie gewissermaßen als einen Ausnahmefall ab, und während sie ihm häufig die wichtigsten Funktionen anvertraut und hohe Ehre gewährt, nimmt sie ihm doch gewisse Rechte und Möglichkeiten, deren jeder andere Mitstrebende genießt. Namentlich sind es zwei Punkte, in welchen seine Ausnahmestellung deutlich erkennbar wird: der Stellvertreter trägt nicht die Verantwortung für seine Amtshandlungen, und er kann innerhalb der Hierarchie nichtweiter emporsteigen. Das Gesetz ist zwar ungeschrieben, aber es ist aus der Geschichte Kastaliens zu lesen: niemals ist beim Tode oder der Amtsniederlegung eines Magisters dessen »Schatten« an seine Stelle nachgerückt, der ihn doch so oft vertreten hat und dessen ganze Existenz ihn zum Nachfolger zu prädestinieren scheint. Es ist, als wolle die Sitte hier eine scheinbar fließende und bewegliche Grenze und Schranke geflissentlich als unüberbrückbar betonen: die Grenze zwischen Magister und Stellvertreter steht wie ein Gleichnis für die Grenze zwischen Amt und Person. Indem denn also ein Kastalier den hohen Vertrauensposten eines Stellvertreters annimmt, verzichtet er
auf die Aussicht, jemals selbst Magister zu werden, jemals mit den Amtskleidern und Insignien, die er so oft repräsentierend trägt, wirklich eins zu werden, und zugleich tritt er das merkwürdig zweideutige Recht an, mit etwaigen Verfehlungen in seiner Amtsführung nicht sich selber, sondern seinen Magister zu belasten, der allein für ihn einzustehen hat. Und es ist in der Tat schon vorgekommen, daß ein Magister das Opfer des von ihm gewählten Stellvertreters geworden ist und einer gröberen Verfehlung wegen, die der andere sich zuschulden kommen ließ, von seinem Amte hat zurücktreten müssen. Der Ausdruck, mit welchem in Waldzell der Stellvertreter des Glasperlenspielmeisters bezeichnet wurde, wird dessen eigentümlicher Stellung, seiner Verbundenheit, ja quasi Identität mit dem Magister sowohl wie dem Scheinhaften und Wesenlosen seiner amtlichen Existenz vorzüglich gerecht. Man nennt ihn dort den »Schatten«.
Meister Thomas von der Trave nun hatte seit Jahr und Tag einen »Schatten« namens Bertram walten lassen, dem es mehr an Glück als an Begabung oder gutem Willen gemangelt zu haben scheint. Er war ein vorzüglicher Glasperlenspieler, wie es sich von selbst versteht, er war auch ein mindestens nicht ungeschickter Lehrer und ein
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