Das Glasperlenspiel - Versuch einer Lebensbeschreibung des Magister Ludi Josef Knecht samt Knechts hinterlassenen Schriften
und das Spiel zu einer Enttäuschung zu werden drohe, wisse der kranke Mann sich für das Spiel, für seinen »Schatten« und dessen Versagen verantwortlich und habe es auf sich genommen, an dessen Stelle selbst für den Fehler zu büßen; dies und nichts andres sei die Ursache der raschen Verschlimmerung seines Befindens und der Steigerung des Fiebers. Natürlich war dies nicht die einzige Lesart der Legende, doch war es die der Elite, und zeigte deutlich, daß die Elite, der strebsame Nachwuchs, die Situation als tragisch empfand und kein Abbiegen, Aufhellen oder Beschönigen dieser Tragik zu unterstützen gewillt war. Der Verehrung gegen den Meister hielt die Abneigung gegen seinen »Schatten« die Waage, diesem wurden Mißerfolg und Sturz gewünscht, sollte selbst der Meister mitbüßen müssen. Wieder einen Tag später konnte man erzählen hören, der Magister habe vom Krankenlager aus seinen Stellvertreter sowie zwei Senioren der Elite beschworen, Frieden zu halten und das Fest nicht zu gefährden; andern Tages wurde behauptet, er habe seinen letzten Willen diktiert und der Behörde den Mann namhaft gemacht, den er sich zum Nachfolger wünsche; es wurden auch Namen genannt. Zusammen mit den Nachrichten von dem sich stets verschlimmernden Befinden des Magisters zirkulierten diese und andere Gerüchte, und im Festsaal sowohl wie in den Gästehäusern sank die Stimmung von Tag
zu Tag, wenn auch niemand sich so weit gehen ließ, auf die Fortführung zu verzichten und abzureisen. Es lag ein schwerer und finsterer Druck über der ganzen Veranstaltung, deren äußerer Ablauf sich dennoch in korrekter Form vollzog, aber von der Freude und Gehobenheit, die man bei diesem Feste kannte und erwartete, war wenig zu spüren, und als am vorletzten Spieltage der Schöpfer des Festspieles, Magister Thomas, die Augen für immer schloß, gelang es den Bemühungen der Behörde nicht, die Verbreitung der Nachricht zu unterdrücken, und merkwürdigerweise empfanden manche Teilnehmer diese Lösung des Knotens als befreiend. Die Spielschüler und namentlich die Elite, obwohl sie vor dem Ende des Ludus sollemnis weder Trauer anlegen noch den in diesen Tagen so streng vorgeschriebenen Ablauf der Stunden mit ihrem Wechsel von Vorführungen und Versenkungsübungen im geringsten unterbrechen durften, begingen den letzten Festakt und Festtag einmütig in einer Haltung und Stimmung, als wäre er eine Trauerfeier für den verehrten Toten, und ließen um den übermüdeten, schlaflosen, bleich und mit halbgeschlossenen Augen weiter amtierenden Bertram eine eisige Atmosphäre der Vereinsamung entstehen.
Josef Knecht, obwohl durch Tegularius noch in lebendiger Fühlung mit der Elite und als alter Spieler für alle diese Strömungen und Stimmungen voll emp
fänglich, ließ sie dennoch nicht in sich eindringen, vom vierten oder fünften Tage an verbot er seinem Freunde Fritz sogar, ihn mit Nachrichten über des Magisters Krankheit zu behelligen; er empfand und verstand zwar die tragische Beschattung des Festes wohl, er gedachte des Meisters mit tiefer Besorgnis und Trauer und des wie zum Mitsterben verurteilten »Schattens« Bertram mit wachsendem Unbehagen und Mitleid, wehrte sich aber standhaft und hart gegen alle Beeinflussungen durch echte oder legendäre Nachrichten, übte strengste Konzentration, gab sich den Übungen und dem Gang des schön gebauten Spieles willig hin und erlebte denn trotz allen Unstimmigkeiten und Verdunkelungen das Fest in ernster Gehobenheit. Dem »Schatten« Bertram blieb es erspart, als Vizemagister am Ende auch noch die Gratulanten und die Behörden wie üblich empfangen zu müssen, auch der herkömmliche Freudentag der Studierenden des Glasperlenspiels fiel diesmal dahin. Unmittelbar nach dem musikalischen Schlußakt des Festes gab die Behörde den Tod des Magisters bekannt, und es begannen im Vicus Lusorum die Trauertage, welche auch der im Gästehaus wohnende Josef Knecht mitbeging. Das Begräbnis des verdienten Mannes, der noch heute in hohem Ansehen steht, wurde mit der in Kastalien üblichen Einfachheit begangen. Bertram, sein »Schatten«, der seine schwere Rolle während des Festes mit Aufgebot seiner letzten
Kräfte zu Ende gespielt hatte, begriff seine Lage. Er bat um Urlaub und wanderte ins Gebirge.
Im Spielerdorf, ja in ganz Waldzell herrschte Trauer. Vielleicht hatte niemand zum verstorbenen Magister intime, betont freundschaftliche Beziehungen gehabt, aber die Überlegenheit und Lauterkeit seines
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