Das Glasperlenspiel
gewünscht hat, als Gehilfe, als Beamter, als..»Schatten« dem Bewunderten zur Seite zu stehen und Hilfe zu leisten.
Die Buchenwälder über Waldzell begannen sich schon zu bräunen, da nahm Knecht eines Tages ein kleines Buch mit sich in den Magistergarten neben seiner Wohnung, diesen kleinen hübschen Garten, den der verstorbene Meister Thomas so sehr geschätzt und mit horazischer Liebhaberhand oft selbst gepflegt
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hatte, den Garten, welchen Knecht, wie alle Schüler und Studenten, einst als eine ehrwürdige Stätte, als den t geheiligten Erholungs- und Sammlungsort des Meisters sich wie ein zauberhaftes Museneiland und Tuskulum vorgestellt und den er, seit er selbst Magister und Herr des Gartens war, so selten betreten und noch kaum je in Muße genossen hatte. Auch jetzt kam er nur für eine Viertelstunde, nach Tisch, und gönnte sich nur ein paar Schritte sorglosen Auf- und Abwandeins zwischen den hohen Sträuchern und Stauden, unter denen sein Vorgänger manche immergrüne Pflanzen des Südens angesiedelt hatte.
Dann trug er, denn es war im Schatten schon kühl, einen leichten Rohrstuhl auf einen sonnenbeschienenen Platz, setzte sich und schlug das mitgebrachte Büchlein auf. Es war der
»Taschenkalender für den Magister Ludi«, den vor etwa siebzig oder achtzig Jahren der damalige Glasperlenspieler Ludwig Wassermaler verfaßt hatte und der seither von jedem seiner Nachfolger mit einigen zeitgemäßen Korrekturen, Streichungen oder Ergänzungen, versehen worden war. Der Kalender war als ein Vademecum für die Magister, namentlich die noch
unerfahrenen in ihren ersten Amtsjahren, gedacht und führte denselben durch das ganze Arbeits- und Amtsjahr hindurch von Woche zu Woche die wichtigsten ihrer Pflichten vor Augen, manchmal nur mit Stichworten, manchmal ausführlicher beschreibend und mit persönlichen Ratschlägen versehen.
Knecht suchte das Blatt für die laufende Woche und las es aufmerksam durch. Er fand nichts Überraschendes oder besonders Dringliches, am Schluß des Abschnittes aber standen die Zeilen: »Beginne deine Gedanken allmählich auf das künftige Jahresspiel zu lenken. Es scheint früh, ja es könnte dir verfrüht scheinen. Dennoch rate ich: Falls du nicht schon einen Plan für das Spiel im Kopfe hast, so laß von jetzt an keine Woche, mindestens aber keinen Monat vergehen, ohne deine Gedanken dem künftigen Spiele zuzuwenden.
Notiere deine Einfälle, nimm dir für eine freie halbe Stunde je
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und je das Schema eines klassischen Spieles mit, auch auf etwaige Amtsreisen. Bereite dich vor, nicht durch
Erzwingenwollen von guten Einfällen, sondern dadurch, daß du von jetzt an des öfteren daran denkst, daß in den kommenden Monaten jene schöne und festliche Aufgabe deiner wartet, zu der du dich immer wieder stärken, sammeln, stimmen sollst.«
Diese Worte waren vor etwa drei Generationen von einem weisen alten Manne und Meister seiner Kunst geschrieben worden, zu einer Zeit übrigens, als das Glasperlenspiel formal vielleicht seine höchste Kultur erreicht hatte, es war damals in den Spielen eine Zierlichkeit und reiche Ornamentik der Ausführung erreicht worden, wie etwa in der Spätgotik oder im Rokoko die Bau- und Dekorationskunst sie erreicht hatte, es war etwa zwei Jahrzehnte lang ein Spielen wirklich wie mit Glasperlen gewesen, ein scheinbar gläsernes und inhaltarmes, scheinbar kokettes, scheinbar übermütiges Spielen voll zarter Schmuckformen, ein tänzerisches, ja manchmal ein
seiltänzerisches Schweben in differenziertester Rhythmik; es gab Spieler, welche vom damaligen Stil wie von einem verlorengegangenen Zauberschlüssel sprachen, und andre, die ihn als äußerlich mit Schmuck überladen, dekadent und unmännlich empfanden. Einer der Meister und Mitschöpfer des damaligen Stiles war es gewesen, der die wohlüberlegten, freundlichen Ratschläge und Mahnungen des Magisterkalenders verfaßt hatte, und indem Josef Knecht seine Worte ein zweites und drittes Mal prüfend las, spürte er eine heitere, wohlige Bewegung im Herzen, eine Stimmung, die er, wie ihm schien, erst ein einziges Mal und seither nicht wieder empfunden hatte, und als er nachdachte, war es in jener Meditation vor seiner Investitur gewesen, und war die Stimmung, die ihn damals bei der Vorstellung jenes wunderlichen Reigens erfüllt hatte, des Reigens zwischen Musikmeister und Josef, zwischen Meister und Anfänger, zwischen Alter und Jugend.
Es war ein alter, ein schon greiser Mann gewesen, der
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