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Das Glasperlenspiel

Das Glasperlenspiel

Titel: Das Glasperlenspiel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hermann Hesse
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sie wieder ziehen, die Besten aber bilden wir als echte Spieler, als Künstler des Spiels weiter und weiter, und jeder von euch weiß, daß es in unserer Kunst, wie in jeder, keinen Endpunkt der Entwicklung gibt, daß jeder von uns, wenn wir erst einmal der Elite angehören, zeitlebens an der Weiterentwicklung, Verfeinerung, Vertiefung seiner selbst und unsrer Kunst arbeiten wird, einerlei, ob er unsrer Beamtenschaft angehöre oder nicht. Man hat das Vorhandensein unsrer Elite gelegentlich einen Luxus gescholten und gemeint, wir sollten nicht mehr Elitespieler heranbilden als nötig seien, um unsre Beamtenstellen stets gut besetzen zu können. Aber einmal ist die Beamtenschaft ja keine sich selbst genügende Institution, und dann ist längst nicht jeder zum Beamten geeignet, so wenig wie etwa jeder gute Philologe auch zum Lehrer geeignet ist. Wir Beamte jedenfalls wissen und fühlen es genau, daß die Repetentenschaft nicht bloß das Reservoir begabter und im Spiel erfahrener Leute ist, aus welchem wir unsre Lücken ergänzen und das unsre Nachfolger liefern wird. Beinahe möchte ich sagen, dies sei nur eine Nebenfunktion der Spielerelite, wenn wir sie auch den Ahnungslosen gegenüber sehr betonen, sobald vom Sinn und von der Lebensberechtigung unsrer Anstalt die Rede ist. Nein, die Repetenten sind nicht in erster Linie künftige Magister, Kursleiter, Archivbeamte, sie sind Selbstzweck, ihre kleine Schar ist die eigentliche Heimat und Zukunft des Glasperlenspiels; hier in diesen paar Dutzend Herzen und Gehirnen spielen sich die Entwicklungen, Anpassungen, Aufschwünge, die Auseinandersetzungen unseres Spieles mit dem Zeitgeist und den Einzelwissenschaften ab. Eigentlich und
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    richtig, vollwertig und mit ganzem Einsatz wird nur hier unser Spiel gespielt, nur hier in unserer Elite ist es Selbstzweck und heiliger Dienst, hat nichts mehr mit Liebhaberei oder Bildungseitelkeit zu tun, nichts mit Wichtigtuerei, noch auch mit Aberglauben.
    Bei euch Waldzeller Repetenten liegt die Zukunft des Spiels.
    Da es das Herz und Innerste von Kastalien ist, ihr aber das Innerste und Lebendigste unsrer Siedlung, seid ihr recht eigentlich das Salz der Provinz, ihr Geist, ihre Unruhe. Es besteht keine Gefahr, daß eure Zahl zu groß, euer Eifer zu heftig, eure Leidenschaft für das herrliche Spiel zu heiß werden könnte; steigert sie, steigert sie! Es besteht für euch, wie für alle Kastalier, im Grunde nur eine einzige Gefahr, vor der wir alle und jeden Tag auf der Hut sein müssen. Der Geist unsrer Provinz und unsres Ordens ist auf zwei Prinzipien gegründet: auf die Objektivität und Wahrheitsliebe im Studium, und auf die Pflege der meditativen Weisheit und Harmonie. Die beiden Prinzipien im Gleichgewicht halten, heißt für uns: weise und unsres Ordens würdig sein. Wir lieben die Wissenschaften, ein jeder die seine, und wissen doch, daß die Hingabe an eine Wissenschaft einen Mann nicht unbedingt vor Eigennutz, Laster und Lächerlichkeit zu schützen vermag, die Geschichte ist voll von Beispielen, die Figur des Doktor Faust ist die literarische Popularisierung dieser Gefahr. Andere Jahrhunderte suchten Zuflucht bei der Vereinigung von Geist und Religion, von Forschung und Askese, in ihrer Universitas Litterarum regierte die Theologie. Bei uns ist es die Meditation, die vielfach gestufte Yoga-Praxis, mit der wir das Tier in uns und den in jeder Wissenschaft hausenden Diabolus zu bannen suchen. Nun, ihr wisset so gut wie ich, daß auch das Glasperlenspiel seinen Diabolus in sich stecken hat, daß es zur leeren Virtuosität, zum Selbstgenuß künstlerhafter Eitelkeit, zur Streberei, zum Erwerb von Macht über andere und damit zum Mißbrauch dieser Macht führen kann. Darum bedürfen wir noch einer andern Erziehung
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    als der intellektuellen und haben uns der Moral des Ordens unterstellt, nicht um unser geistigaktives Leben in ein seelischvegetatives Traumleben umzubiegen, sondern im Gegenteil, um geistiger Höchstleistungen fähig zu sein. Wir sollen nicht aus der Vita activa in die Vita contemplativa fliehen, noch umgekehrt, sondern zwischen beiden wechselnd unterwegs sein, in beiden zu Hause sein, an beiden teilhaben.«
    Wir haben Knechts Worte, deren viele ähnliche von Schülern aufgezeichne t und erhalten sind, wiedergegeben, weil sie seine Auffassung vom Amt, wenigstens in den ersten Jahren seines Magistrats, so klar beleuchten. Daß er ein hervorragender Lehrer war (anfänglich übrigens zu seiner eigenen

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