Das Glasperlenspiel
einfach das Prädikat des Schulmeisters war.
Es war nun allerdings von einer Erfüllung solcher
Schulmeisterwünsche nicht die Rede, sie waren Träume, so wie jemand am graukalten Wintertag sich einen
Hochsommerhimmel träumen mag. Für Knecht war kein Weg mehr offen, seine Pflichten waren durch das Amt bestimmt, aber da das Amt die Art, wie er diese Pflichten erfüllen wollte, sehr weitgehend seiner eigenen Verantwortung überließ, hat er im Lauf der Jahre, anfangs wohl ganz unbewußt, allmählich sein Hauptinteresse mehr und mehr dem Erziehen und den frühesten ihm erreichbaren Altersstufen zugewandt. Je älter er wurde, desto mehr zog die Jugend ihn an. So dürfen wir heute wenigstens sagen.
Damals hätte ein Kritiker Mühe gehabt, irgendwo in seiner Amtsführung etwas wie Liebhaberei und Willkür aufzuspüren.
Auch zwang ihn ja das Amt, immer und immer wieder zur Elite
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zurückzukehren, und auch in Zeiten, da er Seminare und Archive beinahe ganz seinen Helfern und seinem »Schatten«
überließ, hielten langdauernde Arbeiten wie zum Beispiel die jährlichen Spielwettbewerbe oder das Vorbereiten des öffentlichen Jahresspiels ihn in lebendiger und täglicher Fühlung mit der Elite. Zu seinem Freunde Fritz hat er einmal scherzend gesagt: »Es hat Fürsten gegeben, die sich zeitlebens mit einer unglücklichen Liebe zu ihren Untertanen geplagt haben. Ihr Herz zog sie zu den Bauern, den Schäfern, den Handwerkern, den Schullehrern und Schulkindern, aber selten bekamen sie etwas von ihnen zu sehen, sie waren immer von ihren Ministern und Offizieren umgeben, sie standen wie eine Mauer zwischen ihnen und dem Volk.
So geht es einem Magister auch. Er möchte zu den Menschen und sieht nur Kollegen, er möchte zu den Schülern und Kindern und sieht nur Studierte und Leute der Elite.«
Aber wir haben weit vorgegriffen und kehren in die Zeit von Knechts ersten Amtsjahren zurück. Nach der Gewinnung des wünschenswerten Verhältnisses zur Elite war es vor allem die Beamtenschaft des Archivs, deren er sich als freundlicher, aber wachsamer Herr zu versichern hatte, auch die Kanzlei war in der Struktur ihres Amtsganges zu studieren und einzuordnen, und immer wieder kam eine Menge Briefpost, und immer wieder riefen Sitzungen oder Rundschreiben der Gesamtbehörde ihn zu Pflichten und Aufgaben, deren Verständnis und richtige Einordnung zu finden dem Neuling nicht leicht fiel. Es handelte sich dabei nicht selten um Fragen, in welchen die Fakultäten der Provinz interessiert und gegeneinander zur Eifersucht geneigt waren, Kompetenzfragen etwa, und nur allmählich, aber mit wachsender Bewunderung, lernte er die ebenso geheime wie mächtige Funktion des Ordens kennen, der lebendigen Seele des kastalischen Staates und des wachsamen Hüters ihrer
Verfassung.
So waren strenge und überfüllte Monate hingegangen, ohne
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daß in Josef Knechts Gedanken Raum für Tegularius gewesen wäre, außer daß er, es geschah halb instinktiv, dem Freunde mancherlei Arbeit auftrug, um ihn vor zu viel Muße zu bewahren. Fritz hatte seinen Kameraden verloren, es war über Nacht ein Herr und höchster Vorgesetzter aus ihm geworden, zu dem er keinen privaten Zutritt mehr hatte, dem er gehorchen und den er mit »Ihr« und »Ehrwürdiger« anreden mußte. Doch nahm er, was der Magister über ihn verfügte, als Fürsorge und Zeichen persönlichen Gedenkens auf, sah sich auch, der etwas launische Einzelgänger, teils durch die Erhöhung des Freundes und die höchst angeregte Stimmung der ganzen Elite mit in Aufregung versetzt, teils durch jene ihm aufgetragenen Arbeiten in einer ihm zuträglichen Weise aktiviert; jedenfalls ertrug er die völlig geänderte Lage besser, als er selbst seit jenem Augenblick gedacht hätte, in dem ihn Knecht auf die Nachricht hin, daß er zum Glasperlenspielmeister bestimmt sei, von sich geschickt hatte. Auch war er sowohl klug wie mitfühlend genug, die ungeheure Anstrengung und Kraftprobe teils zu sehen, teils wenigstens zu ahnen, welche sein Freund in dieser Zeit zu bestehen hatte; er sah ihn im Feuer stehen und ausgeglüht werden, und was etwa Empfindsames dabei zu erleben war, erlebte er vermutlich lebhafter als der Geprüfte selbst.
Tegularius gab sich bei den Aufträgen, die er vom Magister zugewiesen bekam, die größte Mühe, und wenn er seine eigene Schwäche und seine Nichteignung zu Amt und Verantwortung je ernstlich bedauert und als Mangel empfunden hat, so war es damals, wo er sich sehr
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