Das Glasperlenspiel
Verwunderung), zeigt uns schon die auffallend große Zahl der auf uns gekommenen Nachschriften seiner Vorträge. Es gehörte zu den Entdeckungen und Überraschungen, die sein hohes Amt ihm schon von Anfang an brachte, daß das Leben ihm so viel Freude machte und so leicht gelang. Er hätte es nicht gedacht, denn bisher hatte er nach einer Lehrtätigkeit sich eigentlich nie gesehnt. Wohl hatte er, wie jeder aus der Elite, schon als älterer Student je und je Lehraufträge für kurze Dauer erhalten, hatte vertretungsweise in den Glasperlenspielkursen verschiedener Stufen unterrichtet, noch häufiger den Teilnehmern solcher Kurse als Korrepetitor gedient, doch waren ihm damals die Freiheit des Studierens und die einsame Konzentration auf seine jeweiligen Studiengebiete so lieb und wichtig gewesen, daß er, obwohl schon damals als Lehrer geschickt und beliebt, diese Aufträge eher als unerwünschte Störungen betrachtet hatte.
Schließlich hatte er ja auch im Benediktinerstift Kurse gehalten, aber die waren freilich von geringer Bedeutung an sich und von ebenso geringer für ihn gewesen; an jenem Orte hatte für ihn das Lernen bei Pater Jakobus und der Umgang mit ihm alle andere Arbeit zur Nebensache werden lassen. Ein guter Schüler zu sein, zu lernen, aufzunehmen und sich zu bilden, war damals sein oberstes Streben gewesen. Nun war aus dem
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Schüler ein Lehrer geworden, und als Lehrer vor allem hatte er die große Aufgabe seiner ersten Amtszeit bewältigt, den Kampf um die Autorität und um die genaue Identifizierung von Person und Amt. Es waren zwei Entdeckungen, die er dabei machte: die Freude, welche es bereitet, geistig Erworbenes in andere Geister zu verpflanzen und es dabei zu ganz neuen Erscheinungsformen und Ausstrahlungen sich wandeln zu sehen, also die Freude am Lehren, und dann das Kämpfen mit den Persönlichkeiten der Studenten und Schüler, das Erwerben und Ausüben der Autorität und Führerschaft, also die Freude am Erziehen. Er hat beides nie getrennt, und während seines Magistrates hat er nicht nur eine große Zahl guter und bester Glasperlenspieler herangebildet, sondern auch einen großen Teil seiner Schüler durch Beispiel und Vorbild, durch Mahnung, durch seine strenge Art von Geduld, durch die Kraft seines Wesens als Menschen und Charakter zum Besten entwickelt, dessen sie fähig waren.
Dabei hat er, wenn uns hier ein Vorwegnehmen erlaubt ist,, eine charakteristische Erfahrung gemacht. Im Anfang seiner Amtstätigkeit hatte er es ausschließlich mit der Elite zu tun, mit der obersten Schicht seiner Schülerschaft, mit Studenten und Repetenten, deren manche ihm an Alter gleich und deren jeder schon ein durchgebildeter Spieler war. Erst allmählich, als er der Elite sicher war, begann er ihr langsam und vorsichtig von Jahr zu Jahr etwas mehr an Kraft und an Zeit zu entziehen, bis er am Ende sie zeitweilig beinahe ganz seinen Vertrauensmännern und Mitarbeitern überlassen konnte. Der Vorgang dauerte Jahre, und von einem Jahr zum andern drang Knecht in den Vorträgen, Kursen und Übungen, die er leitete, zu immer ferneren, jüngeren Schichten der Schülerschaft zurück, zuletzt hat er sogar, was selten ein Magister Ludi tat, mehrere Male persönlich die Anfängerkurse für die Jüngsten, für Schüler also und noch nicht Studenten, abgehalten. Und dabei fand er, je jünger und unwissender seine Schüler waren, desto mehr Freude am Lehren.
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Manchmal bereitete es ihm im Laufe dieser Jahre geradezu Unbehagen und kostete ihn eine spürbare Anstrengung, von diesen Jungen und Jüngsten zu den Studenten oder gar zur Elite zurückzukehren. Ja zuweilen empfand er den Wunsch, noch weiter zurückzugehen und sich an noch jüngeren Schülern zu versuchen, an solchen, für die es noch keine Kurse und kein Glasperlenspiel gab; er konnte sich etwa wünschen, eine Weile in Eschholz oder an einer der andern Vorbereitungsschulen kleine Knaben im Latein, im Singen oder in der Algebra zu unterrichten, wo es weit weniger geistvoll zuging als selbst im allerersten Anfängerkurs des Glasperlenspiels, wo er es aber mit noch offeneren, bildsameren, erziehbareren Schülern zu tun haben würde, wo Unterrichten und Erziehen noch mehr und inniger eins waren. In den letzten beiden Jahren seines Magisteramtes hat er sich zweimal in Briefen als
»Schulmeister« bezeichnet, daran erinnernd, daß der Ausdruck Magister Ludi, der seit Generationen in Kastalien nur noch
»Meister des Spieles« bedeutete, ursprünglich
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