Das Glasperlenspiel
es viel zu spät. Aber nach Hinweisen, die ihm teils Knecht selbst, teils das ostasiatische Studienhaus geben würde, konnte Tegularius in die magische Symbolik des Chinesenhauses mit Hilfe der Literatur recht wohl eindringen, es ging ja hier nicht um Philologie. Immerhin brauchte es Zeit, zumal bei einem verwöhnten und nicht jeden Tag arbeitslustigen Menschen, wie sein Freund einer war, und so war es gut, die Sache gleich anzugehen; es hatte also, so sah er lächelnd und angenehm überrascht, der vorsichtige alte Herr im Taschenkalender vollkommen recht behalten.
Schon andern Tages, da die Sprechstunde gerade sehr früh zu Ende ging, ließ er Tegularius zu sich rufen. Er kam, vollzog die Verneigung mit dem etwas betont ergebenen und demütigen Ausdruck, den er sich Knecht gegenüber angewöhnt hatte, und war recht erstaunt, als der sonst so knapp und mit den Worten sparsam Gewordene ihm mit einer gewissen Schelmerei
zunickte und ihn fragte: »Erinnerst du dich noch daran, wie wir einmal in unseren Studentenjahren etwas wie einen Streit miteinander hatten, bei dem es mir nicht gelang, dich zu meiner Auffassung zu bekehren? Es ging um die Frage nach dem Wert und der Wichtigkeit der ostasiatischen Studien, namentlich der chinesischen, und ich wollte dich dazu bringen, daß auch du dich eine Weile ins Studienhaus setzest und Chinesisch lernest. -
Ja, du erinnerst dich? Nun, heute bedaure ich es einmal wieder, daß ich dich damals nicht umzustimmen vermochte. Wie gut wäre es jetzt, wenn du Chinesisch verstündest! Wir könnten die
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wunderbarste Arbeit miteinander tun.« Und so neckte er den Freund noch ein wenig und spannte seine Erwartung, bis er mit seinem Vorschlag herausrückte: er wolle bald mit der Ausarbeitung des großen Spiels beginnen, und wenn es ihm Freude mache, solle Fritz einen großen Teil dieser Arbeit ausführen, so wie er damals Knechts Konkurrenzspiel für die Solennität habe ausführen helfen, während Knecht bei den Benediktinern war. Beinahe ungläubig blickte der andre ihn an, tief überrascht und auf eine köstliche Art beunruhigt schon durch den munteren Ton und das lächelnde Gesicht des Freundes, den er nur noch als Herrn und Magister gekannt hatte.
Gerührt und freudig empfand er nicht bloß die Ehre und das Vertrauen, welche in diesem Vorschlag sich ausdrückten, sondern begriff und ergriff vor allem die Bedeutung dieser schönen Gebärde; sie war ein Versuch zur Heilung, ein Wiederaufschließen der zugefallenen Tür zwischen dem Freunde und ihm.
Knechts Bedenken wegen des Chinesischen nahm er leicht und erklärte sich ohne weiteres bereit, sich dem Ehrwürdigen und der Ausarbeitung seines Spieles ganz und gar zur Verfügung zu stellen. »Gut«, sagte der Magister, »ich nehme dein Versprechen an. So werden wir also zu gewissen Stunden wieder Arbeits- und Studiengenossen sein wie einst in jenen so merkwürdig fern scheinenden Zeiten, wo wir manches Spiel gemeinsam durchgearbeitet und durchgekämpft haben. Es freut mich, Tegularius. Und nun mußt du dir vor allem das
Verständnis für die Idee erwerben, auf die ich das Spiel aufbauen will. Du mußt verstehen lernen, was ein chinesisches Haus ist und was die Regeln bedeuten, die für seinen Bau vorgeschrieben sind. Ich gebe dir eine Empfehlung an das ostasiatische Studienhaus mit, dort wird man dir helfen. Oder -
es fällt mir noch etwas anderes, Hübscheres ein - wir könnten es mit dem Älteren Bruder versuchen, dem Mann im
Bambusgehölz, von dem ic h dir damals so viel erzählt habe.
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Vielleicht ist es unter seiner Würde oder eine zu große Störung für ihn, sich mit jemand einzulassen, der kein Chinesisch versteht, aber versuchen sollten wir es doch. Wenn er will, so ist dieser Mann imstande, einen Chinesen aus dir zu machen.«
Es erging eine Botschaft an den Älteren Bruder, die ihn herzlich einlud, für eine Weile als Gast des
Glasperlenspielmeisters nach Waldzell zu kommen, da diesem sein Amt zu einem Besuch keine Zeit lasse, und ihn über den Dienst, den man von ihm begehrte, unterrichtete. Der Chinese jedoch verließ das Bambusgehölz nicht, der Bote brachte statt seiner ein Briefchen mit, mit Tusche in chinesischen Zeichen gemalt, darin stand: »Ehrenvoll wäre es, den großen Mann zu sehen. Aber Gehen führt in Hemmnisse.
Zwei Schüsselchen benutze man zum Opfer. Den Erhabenen grüßt der Jüngere.« Daraufhin brachte Knecht seinen Freund nicht ohne Mühe zu dem Entschluß, selbst nach
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