Das Glasperlenspiel
anderes als bei uns. Und da soll man miteinander reden! Sieh, wenn du mit mir sprichst, so ist es, als rede mich ein Ausländer an, immerhin aber ein Ausländer, dessen Sprache ich in meiner Jugend gelernt und selbst gesprochen habe, ich verstehe das meiste. Aber umgekehrt ist es nicht ebenso: wenn ich zu dir rede, so hörst du eine Sprache, deren Ausdrücke dir nur halb und deren Nuancen und Schwingungen dir gar nicht bekannt sind, du vernimmst Geschichten aus einem Menschenleben, einer Daseinsform, welche nicht die deine ist; das meiste, selbst wenn es dich interessieren sollte, bleibt dir fremd und höchstens halbverständlich. Du erinnerst dich unsrer vielen Redekämpfe und Gespräche in unsrer Schülerzeit; von meiner Seite waren sie nichts andres als ein Versuch, einer von vielen, die Welt und Sprache eurer Provinz mit der meinigen in Einklang zu bringen.
Du bist der aufgeschlossenste, willigste und redlichste von allen gewesen, mit denen ich jemals solche Versuche unternahm; du standest tapfer für die Rechte Kastaliens ein, ohne doch gegen meine andere Welt und deren Rechte gleichgültig zu sein oder sie gar zu verachten. Wir kamen einander ja damals ziemlich nahe. Nun, darauf kommen wir später zurück.«
Da er einen Augenblick nachdenklich schwieg, sagte Knecht behutsam: »Es ist wohl nicht so schlimm mit dem
Nichtverstehenkönnen. Gewiß, zwei Völker und zwei Sprachen werden einander nie sich so verständlich und so intim mitteilen können wie zwei einzelne, die derselben Nation und Sprache angehören. Aber das ist kein Grund, auf Verständigung und Mitteilung zu verzichten. Auch zwischen Volks- und
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Sprachgenossen stehen Schranken, die eine volle Mitteilung und ein volles gegenseitiges Verstehen verhindern, Schranken der Bildung, der Erziehung, der Begabung, der Individualität. Man kann behaupten, jeder Mensch auf Erden könne grundsätzlich mit jedem andern sich aussprechen, und man kann behaupten, es gebe überhaupt keine zwei Menschen in der Welt, zwischen denen eine echte, lückenlose, intime Mitteilung und
Verständigung möglich sei - eins ist so wahr wie das andre.
Es ist Yin und Yang, Tag und Nacht, beide haben recht, an beide muß man zuzeiten erinnert werden, und ich gebe dir insoweit recht, als auch ich natürlich nicht glaube, daß wir beide uns einander jemals ganz und gar und restlos werden
verständlich machen können. Magst du ein Abendländer, ich ein Chinese sein, mögen wir verschiedene Sprachen reden, so werden wir dennoch, wenn wir guten Willens sind, einander sehr viel mitteilen und über das exakt Mitteilbare hinaus sehr viel voneinander erraten und ahnen können. Jedenfalls wollen wir es versuchen.«
Designori nickte und fuhr fort: »Ich will vorerst das wenige erzählen, was du wissen mußt, um etwa eine Ahnung von meiner Situation zu bekommen. Also da ist zunächst die Familie, die oberste Macht im Leben eines jungen Menschen, er mag sie anerkennen oder nicht. Ich bin mit ihr gut
ausgekommen, solange ich Hospitant eurer Eliteschulen war.
Das Jahr hindurch war ich bei euch gut aufgehoben, in den Ferien wurde ich zu Hause gefeiert und verwöhnt, ich war der einzige Sohn. An meiner Mutter hing ich mit einer zärtlichen, ja leidenschaftlichen Liebe, die Trennung von ihr war der einzige Schmerz, den ich bei jeder Abreise empfand. Mit dem Vater stand ich in einem kühleren, aber freundlichen Verhältnis, wenigstens während all der Knaben- und Jünglingsjahre, die ich bei euch verbrachte; er war ein alter Kastalien-Verehrer und stolz darauf, mich in den Eliteschulen erzogen und in so sublime Dinge wie das Glasperlenspiel eingeweiht zu sehen. Diese
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heimatlichen Ferienaufenthalte waren oft wahrhaft
hochgestimmt und festlich, die Familie und ich kannten einander gewissermaßen nur noch in Festkleidern.
Manchmal, wenn ich so in die Ferien reiste, habe ich euch Zurückbleibende bedauert, die von solchem Glück nichts wußten. Ich brauche von damals nicht viel zu sagen, du hast mich ja gekannt, besser als irgendein anderer. Ich war beinah ein Kastalier, ein bißchen weltfroher, derber und oberflächlicher vielleicht, aber voll glücklichen Übermuts, beschwingt und enthusiastisch. Es war die glücklichste Zeit meines Lebens, was ich damals freilich nicht ahnte, denn in jenen Waldzeller Jahren erwartete ich das Glück und die Höhe meines Lebens von der Zeit, da ich aus euren Schulen entlassen heimkehren und mir mit Hilfe meiner bei euch erworbenen Überlegenheit
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