Das Glasperlenspiel
Tages führte ein junger Famulus vom Gästehaus der Ordensleitung den Magister Knecht zum Vorstand und war Zeuge, wie die beiden sich begrüßten. Ihm, der doch an den Anblick von Meistern der Meditation und Selbstzucht und an das Leben unter ihnen gewohnt war, fiel dennoch im Aussehen, im Gehaben und in der Begrüßung der beiden Ehrwürdigen etwas Besonderes, ihm Neues auf, ein ungewohnter, höchster Grad von Sammlung und Geklärtheit. Es war, so erzählte er uns, nicht ganz die übliche Begrüßung zwischen zwei höchsten Würdenträgern, welche je nachdem ein heiter und leichthin abgespieltes Zeremoniell oder ein feierlichfreudiger Festakt, gelegentlich auch ein gewisser Wettstreit an Höflichkeit, Unterordnung und betonter Demut sein konnte. Es war etwa so, als werde hier ein Fremder, ein von weither zugereister großer Yogameister empfangen, der gekommen wäre, dem
Ordensvorstand Ehrerbietung zu erweisen und sich mit ihm zu messen. Worte und Gebärden seien sehr bescheiden und sparsam gewesen, Blicke und Gesichter der beiden
Würdenträger aber seien von einer Stille, Gefaßtheit und Sammlung, dabei von einer heimlichen Gespanntheit erfüllt gewesen, als wären sie beide wie durchleuc htet oder mit einem elektrischen Strome geladen. Mehr bekam unser Gewährsmann
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von der Zusammenkunft nicht zu sehen und zu hören. Die beiden verschwanden ins Innere der Räume, vermutlich in Meister Alexanders Privatkabinett, und blieben dort mehrere Stunden beisammen, ohne daß jemand sie stören durfte. Was von ihren Ge- sprächen überliefert ist, stammt aus
gelegentlichen Erzählungen des Herrn Delegierten Designori, welchem Josef Knecht dies und jenes davon berichtet hat.
»Ihr habt mich gestern überrascht«, fing der Vorstand an,
»und beinahe aus der Fassung gebracht. Inzwischen habe ich etwas darüber nachdenken können. Mein Standpunkt hat sich natürlich nicht geändert, ich bin Mitglied der Behörde und der Ordensleitung. Das Recht, Euren Austritt anzumelden und Euer Amt niederzulegen, steht Euch nach dem Buchstaben der Regel zu. Ihr seid dahin gelangt, Euer Amt als lästig und einen Versuch mit dem Leben außerhalb des Ordens als notwendig zu empfinden.
Wenn ich Euch nun vorschlüge, diesen Versuch zwar zu wagen, nicht zwar im Sinn Eurer heftigen Entschlüsse, aber etwa in Form eines längeren oder sogar unbefristeten Urlaubs?
Ähnliches bezweckte ja eigentlich Euer Gesuch.«
»Nicht ganz«, sagte Knecht. »Wäre mein Gesuch bewilligt worden, so wäre ich zwar im Orden geblieben, nicht aber im Amt. Was Ihr so freundlich vorschlaget, wäre ein Ausweichen.
Übrigens wäre auch Waldzell und dem Glasperlenspiel wenig durch einen Magister gedient, der auf lange, auf unbestimmte Zeit in Urlaub abwesend ist und von dem man nicht weiß, ob er zurückkommen wird oder nicht. Und käme er sogar nach einem Jahr, nadi zwei Jahren ^zurück, so hätte er, was sein Amt und seine Disziplin, das Glasperlenspiel, betrifft, ja nur verlernt und nichts hinzugelernt.«
Alexander: »Vielleicht hätte er doch allerlei gelernt.
Vielleicht hätte er erfahren, daß die Welt draußen anders ist, als er sie sich dachte, und er ihrer so wenig bedarf wie sie seiner,
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er käme beruhigt zurück und wäre froh, wieder im Alten und Bewährten zu weilen.«
»Eure Güte geht sehr weit. Ich bin ihr dankbar und kann sie doch nicht annehmen. Was ich suche, ist nicht so sehr Stillung einer Neugierde oder einer Lüsternheit auf das Weltleben als vielmehr Unbedingtheit. Ich wünsche nicht in die Welt hinauszugehen mit einer Rückversicherung für den Fall einer Enttäuschung in der Tasche, ein vorsichtiger Reisender, der sich ein wenig in der Welt umsieht. Ich begehre im Gegenteil Wagnis, Erschwerung und Gefahr, ich bin hungrig nach Wirklichkeit, nach Aufgaben und Taten, auch nach
Entbehrungen und Leiden.
Darf ich Euch bitten, nicht auf Eurem gütigen Vorschlag zu beharren, und überhaupt nicht auf dem Versuch, mich wankend zu machen und zurückzulocken? Es würde zu nichts führen.
Mein Besuch bei Euch würde für mich seinen Wert und seine Weihe verlieren, wenn er mir die nachträgliche, jetzt von mir nicht mehr begehrte Bewilligung meines Gesuches einbrächte.
Ich bin seit jenem Gesuch nicht stehengeblieben; der Weg, den ich angetreten habe, ist jetzt mein ein und alles, mein Gesetz, meine Heimat, mein Dienst.«
Seufzend nickte Alexander Gewährung. »Nehmen wir also einmal an«, sagte er geduldig, »Ihr seiet in der Tat
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