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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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verbarg Aristide seine Hand wieder in dem Seidentuch. Mit dem Kaiserreich ging es schief, ohne daß die Republik siegte, deshalb hatte er es für klug gehalten, seine Rolle als Verletzter wieder aufzunehmen. Scheu schlich er über den Platz, ohne aufzusehen, und da er zweifellos aus den Menschenansammlungen gefährliche und kompromittierende Worte hörte, beeilte er sich, in der Biegung der Rue de la Banne zu verschwinden.
    »Tatsächlich, er kommt nicht«, sagte Félicité bitter. »Wir liegen am Boden … Selbst unsere eigenen Kinder lassen uns im Stich!«
    Sie schloß heftig das Fenster, um nichts mehr zu sehen, nichts mehr zu hören. Als sie die Lampe angezündet hatte, aßen sie entmutigt und ohne Appetit zu Abend und ließen die Hälfte auf dem Teller. Es blieben ihnen nur wenige Stunden, um einen Entschluß zu fassen. Sie mußten bis zum nächsten Morgen Plassans den Fuß in den Nacken gesetzt haben und es zwingen, um Gnade zu bitten, wenn sie nicht auf ihr erträumtes Glück verzichten wollten. Das völlige Fehlen zuverlässiger Nachrichten war die einzige Ursache ihrer ängstlichen Unentschiedenheit. Félicité mit ihrem klaren Verstand begriff das schnell. Hätten sie das Ergebnis des Staatsstreiches in Erfahrung bringen können, so wären sie kühn vorgegangen, hätten allem zum Trotz ihre Rolle als Retter weitergespielt, oder aber sie hätten sich beeilt, so gut wie möglich ihren mißglückten Feldzug vergessen zu machen. Aber sie wußten nichts Genaues und verloren den Kopf; der kalte Schweiß brach ihnen aus in dem Bewußtsein, bei völliger Unkenntnis der Ereignisse so ihr. Glück auf eine Karte zu setzen.
    »Und dieser verflixte Kerl, dieser Eugène, schreibt mir nicht!« rief Rougon in einer Aufwallung von Verzweiflung, ohne daran zu denken, daß er seiner Frau das Geheimnis seines Briefwechsels preisgab.
    Doch Félicité tat, als habe sie nicht verstanden. Der Aufschrei ihres Mannes hatte sie tief getroffen. In der Tat, warum schrieb Eugène seinem Vater nicht? Nachdem er ihn bisher so treulich über die Erfolge der bonapartistischen Sache auf dem laufenden gehalten hatte, hätte er sich doch beeilen müssen, ihm Triumph oder Niederlage des Prinzen Louis mitzuteilen. Die einfachste Vorsicht verlangte die Übermittlung dieser Nachricht. Wenn er schwieg, so darum, weil die siegreiche Republik ihn mit dem Thronanwärter zusammen in die finsteren Gefängnisse von Vincennes geschickt hatte. Félicité überlief es eiskalt, das Schweigen ihres Sohnes vernichtete ihre letzten Hoffnungen.
    In diesem Augenblick wurde die »Gazette« gebracht. Das Blatt war noch ganz feucht.
    »Wie?« sagte Pierre sehr überrascht. »Vuillet hat sein Blatt erscheinen lassen?«
    Er zerriß das Streifband, las den Leitartikel bis zum Schluß, wurde weiß wie ein Laken und sank in seinem Stuhl zusammen.
    »Hier lies!« fing er wieder an und reichte Félicité die Zeitung.
    Es war ein prachtvoller Artikel, von unerhörter Heftigkeit gegen die Aufständischen. Niemals waren soviel Galle, soviel Lüge, soviel scheinheiliger Schmutz aus einer Feder geflossen. Vuillet begann mit der Schilderung des Einzugs der Aufständischen in Plassans. Ein wahres Meisterstück. Man sah sie förmlich, »diese Banditen, diese Galgengesichter, diesen Abschaum des Zuchthauses«, wie sie die Stadt überfluteten, »trunken von Branntwein, Ausschweifungen und Plünderung«; dann zeigte er sie, wie sie »ihren Zynismus in den Straßen zur Schau trugen, wie sie die Bevölkerung mit wildem Geschrei in Schrecken versetzten und nur auf Vergewaltigung und Mord aus waren«. Und weiterhin wurde die Szene im Rathaus und die Festnahme der Beamten zu einem fürchterlichen Drama: »Sodann packten sie die ehrwürdigsten Männer an der Kehle, und wie einst Jesus wurden der Bürgermeister, der tapfere Kommandant der Nationalgarde, der Postvorsteher, dieser so wohlwollende Beamte, von den Elenden mit Dornen gekrönt, und sie spien ihnen ins Gesicht.« Der Absatz, der Miette und ihrem roten Mantel gewidmet war, verstieg sich ins Lyrische. Vuillet hatte zehn, hatte zwanzig blutbesudelte Dirnen gesehen: »Und wer hätte nicht inmitten dieser Ungeheuer verruchte Kreaturen bemerkt, ganz in Rot gekleidet, die sich allem Anschein nach im Blut der von diesen Räubern unterwegs ermordeten Märtyrer gewälzt hatten? Sie schwangen Fahnen, sie überließen sich an den Straßenecken in aller Öffentlichkeit den gemeinen Liebkosungen der ganzen Horde.« Und mit biblischer Emphase

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