Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Amtszimmer des Postvorstehers ein großer Beichtstuhl, erfüllt von Schatten und frommem Geheimnis, darin er vor Lust verging, wenn er das verschleierte Geflüster, die zitternden Geständnisse einsog, die den Briefschaften entströmten. Übrigens betrieb der Buchhändler dieses kleine Geschäft mit vollendeter Unverschämtheit. Die Krise, die das Land durchmachte, sicherte ihm Straffreiheit. Wenn die Briefe einige Verspätung erlitten, wenn manche sogar ganz verschwanden, so war das eben die Schuld dieser Lumpen, dieser Republikaner, die das Land durchzogen und alle Verbindungen unterbrachen. Die Schließung der Tore hatte ihn einen Augenblick geärgert; aber er hatte sich mit Roudier dahin verständigt, daß die Post hereingelassen und unmittelbar ihm zugestellt würde, unter Umgehung des Bürgermeisteramtes.
    Er hatte in der Tat nur wenige Briefe aufgemacht, aber die richtigen, die nämlich, von denen seine Sakristanswitterung ihm sagte, daß es nützlich für ihn sei, ihren Inhalt früher zu kennen als andere Leute. Im übrigen hatte er sich damit begnügt, diejenigen Briefe, die dem Empfänger Winke geben und ihm, Vuillet, das Verdienst rauben könnten, Mut zu besitzen, während die ganze Stadt zitterte, bis zu einer späteren Verteilung in einem Schubfach aufzuheben. Dieser scheinheilige Kerl hatte die Lage ausgezeichnet erfaßt, als er sich die Leitung der Post auserkor.
    Als Frau Rougon eintrat, traf er gerade seine Wahl unter einem riesigen Haufen von Briefen und Zeitungen, zweifellos mit dem Vorwand, sie zu sortieren. Er erhob sich mit einem untertänigen Lächeln und zog einen Stuhl heran. Seine geröteten Augenlider zuckten unruhig.
    Doch Félicité setzte sich nicht, sondern herrschte ihn an:
    »Ich verlange den Brief!«
    Vuillet riß die Augen weit auf und spielte den Unschuldigen.
    »Was für einen Brief, verehrteste Frau?« fragte er.
    »Den Brief, den Sie heute morgen für meinen Mann in Empfang genommen haben … Spaß beiseite, Herr Vuillet, ich habe es eilig!« Und als er stotterte, er wisse von nichts, er habe nichts gesehen, dies sei doch höchst verwunderlich, fing Félicité von neuem an, mit einer dumpfen Drohung in der Stimme: »Ein Brief aus Paris, von meinem Sohn Eugène, Sie verstehen ja wohl, was ich sagen will, nicht wahr? – Ich werde selber suchen.« Sie schickte sich an, die verschiedenen Briefpakete zu ergreifen, die sich auf dem Schreibtisch häuften.
    Nun wurde er dienstfertig, sagte, er wolle nachsehen, die Post arbeite jetzt notgedrungen so schlecht! Vielleicht sei wirklich ein Brief da. In diesem Fall würde er sich finden lassen. Doch was ihn betreffe, so schwöre er, ihn nicht gesehen zu haben. Während er so redete, ging er im Amtszimmer umher und warf alle Papiere durcheinander. Dann öffnete er die Schubfächer und Schachteln.
    Félicité wartete, ohne eine Miene zu verziehen.
    »Tatsächlich, Sie haben recht, hier ist ein Brief für Sie!« rief er endlich und zog etliche Papiere aus einer Schachtel. »O diese vertrackten Angestellten, sie nützen die Lage dazu aus, nichts ordentlich zu machen.«
    Félicité nahm den Brief, prüfte aufmerksam das Siegel und schien sich nicht im geringsten darum zu kümmern, daß eine derartige Überprüfung für Vuillet beleidigend war. Sie sah deutlich, daß der Briefumschlag geöffnet worden sein mußte. Der Buchhändler, in diesen Dingen noch ungeschickt, hatte zum Wiederzukleben einen dunklen Siegellack verwandt. Vorsichtig machte sie den Umschlag so auf, daß das Siegel unverletzt blieb, damit es gegebenenfalls als Beweis dienen konnte. In wenigen Worten teilte Eugène den völligen Erfolg des Staatsstreichs mit; er stimmte wahre Siegeslieder an. Paris war unterworfen, die Provinz rührte sich nicht, und er riet seinen Eltern zu einer äußerst festen Haltung gegenüber der teilweisen Empörung des Südens. Zum Schluß versicherte er ihnen, daß ihr Glück gemacht sei, wenn sie nicht schwach würden. Frau Rougon steckte den Brief in die Tasche und nahm langsam Platz, wobei sie Vuillet fest ins Gesicht sah. Dieser hatte wieder fieberhaft zu sortieren begonnen, als habe er sehr viel zu tun.
    »Hören Sie zu, Herr Vuillet«, sagte sie. Und als er den Kopf hob: »Wir wollen mit offenen Karten spielen, nicht wahr? Es ist unrecht von Ihnen, Verrätereien zu machen; das könnte Ihnen schlecht bekommen. Wenn Sie, statt unsere Briefe zu öffnen …«
    Er wehrte sich, tat beleidigt.
    Aber sie fuhr in ruhigem Ton fort:
    »Ich weiß, ich kenne

Weitere Kostenlose Bücher