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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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Ihr System. Sie würden nie zugeben … Nun, machen wir keine unnötigen Worte. Was für ein Interesse haben Sie daran, dem Staatsstreich zu dienen?« Und als er immer noch seine völlige Ehrlichkeit beteuerte, verlor sie schließlich die Geduld. »Halten Sie mich eigentlich für dumm?« rief sie. »Ich habe Ihren Artikel gelesen … Sie täten besser daran, sich mit uns zu verständigen.«
    Ohne irgend etwas zuzugeben, rückte er hierauf rundweg damit heraus, daß er die Kundschaft des Gymnasiums haben wolle. Früher hatte er die Anstalt mit Lehrbüchern beliefert. Es war aber bekannt geworden, daß er den Schülern heimlich eine so große Menge pornographischer Literatur verkaufte, daß die Pulte von anstößigen Stichen und Büchern überquollen. Bei dieser Gelegenheit wäre er sogar beinahe vors Polizeigericht gekommen. Seitdem träumte er wütend und neiderfüllt davon, bei der Schulverwaltung wieder in Gnaden aufgenommen zu werden.
    Félicité schien erstaunt über die Bescheidenheit seines Ehrgeizes. Sie gab ihm das sogar zu verstehen. Briefe erbrechen, das Zuchthaus riskieren, nur um ein paar Wörterbücher zu verkaufen!
    »Nun«, meinte er sauer, »das bedeutet einen sicheren Absatz von vier bis fünftausend Francs im Jahr. Ich erträume mir nichts Unmögliches wie gewisse Leute.«
    Sie ging nicht darauf ein. Von den erbrochenen Briefen war nicht mehr die Rede. Es wurde ein Abkommen getroffen, in dem sich Vuillet unter der Bedingung, daß ihm die Rougons die Kundschaft des Gymnasiums verschafften, verpflichtete, keinerlei Nachrichten in Umlauf zu setzen und sich nicht in den Vordergrund zu drängen. Beim Fortgehen riet ihm Félicité, sich nicht weiter Unannehmlichkeiten auszusetzen. Es genüge, daß er die Briefe zurückhalte und sie erst am übernächsten Tag austragen lasse.
    »Was für ein Gauner!« murmelte sie, als sie wieder auf der Straße war, ohne zu bedenken, daß sie selbst ja soeben die Postzustellung untersagt hatte.
    Nachdenklich ging sie mit langsamen Schritten nach Hause. Sie machte sogar einen Umweg über den Cours Sauvaire, wie um länger und ungestörter überlegen zu können, ehe sie daheim anlangte. Unter den Bäumen der Anlagen traf sie Herrn de Carnavant, der die Dunkelheit dazu benutzte, in der Stadt herumzuspüren, ohne sich zu kompromittieren. Der Klerus von Plassans, dem jedes Handeln widerstrebte, beobachtete seit der Nachricht vom Staatsstreich völligste Neutralität. Für ihn war das Kaiserreich eine vollendete Tatsache; er wartete auf die rechte Stunde, um in neuer Richtung seine hundertjährigen Intrigen wiederaufzunehmen. Der Marquis, von nun an als Agent überflüssig, hatte nur noch das eine Interesse: zu erfahren, wie der Tumult enden und auf welche Weise die Rougons ihre Rolle bis zum Schluß spielen würden.
    »Du bist˜s, Kleine?« redete er Félicité an, als er sie erkannte. »Ich wollte dich gerade besuchen. Deine Angelegenheiten verwirren sich.«
    »Nicht doch, alles ist in bester Ordnung«, antwortete sie, mit ihren Gedanken beschäftigt.
    »Um so besser! Das wirst du mir erzählen, nicht wahr? Ach, ich muß dir beichten; ich habe vergangene Nacht deinem Mann und seinen Kollegen eine schreckliche Angst eingejagt. Du hättest bloß sehen sollen, wie komisch sie auf der Terrasse waren, als ich sie in jeder Baumgruppe unten im Tal eine Rotte von Aufständischen sehen ließ! Wirst du mir verzeihen?«
    »Ich danke Ihnen«, sagte Félicité lebhaft. »Sie hätten sie vor Angst umkommen lassen sollen. Mein Mann ist ein großer Heimlichtuer. Kommen Sie doch nächstens einmal am Vormittag, wenn ich allein bin.«
    Sie lief mit schnellen Schritten davon, als habe die Begegnung mit dem Marquis sie zu einem Entschluß gebracht. Ihre ganze kleine Person drückte einen unerbittlichen Willen aus. Endlich würde sie sich für Pierres Geheimniskrämerei rächen können, würde ihn unterkriegen und ihre Allmacht im Hause für immer sichern. Dazu war ein richtiger Theatercoup notwendig, eine Komödie, deren tiefe Ironie sie schon im voraus genoß und deren Plan sie mit dem Scharfsinn der beleidigten Frau entwarf.
    Sie fand Pierre zu Bett, in einem bleiernen Schlaf. Sie brachte eine Kerze herbei und betrachtete einen Augenblick mit mitleidiger Miene sein schwerfälliges Gesicht, über das von Zeit zu Zeit ein leises Zittern lief. Dann setzte sie sich ans Kopfende, legte den Hut ab, zerzauste sich das Haar, gab sich das Aussehen einer Verzweifelten und begann laut zu

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