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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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auftraten. Diese Bürgerlichen fühlten sich heimlich geschmeichelt, wenn ihnen der Marquis beim Kommen und beim Gehen gütigst die Hand schüttelte. Nur Roudier, ein Freidenker aus der Rue SaintHonoré, sagte, der Marquis sei ein armer Teufel und er selber pfeife auf den Marquis. Dieser aber bewahrte das liebenswürdige Lächeln des Edelmannes; er machte sich mit diesen Bürgerlichen gemein, ohne auch nur einmal verächtlich das Gesicht zu verziehen, wozu sich alle anderen Bewohner des SaintMarc Viertels für verpflichtet gehalten hätten. Sein Schmarotzerdasein hatte ihn geschmeidig gemacht. Er war die Seele ihrer Gruppe. Er herrschte im Auftrag Unbekannter, deren Namen er niemals preisgab. »Dies wollen sie, jenes wollen sie nicht«, pflegte er zu sagen. Diese verborgenen Götter, die von ihren Wolken herab über dem Schicksal Plassans˜ wachten, ohne daß sie sich unmittelbar in die öffentlichen Angelegenheiten einzumischen schienen, waren wohl gewisse Geistliche, die großen Politiker der Gegend. Wenn der Marquis dieses geheimnisvolle »sie« aussprach, das allen Anwesenden eine wunderbare Hochachtung einflößte, gab Vuillet durch eine ehrfürchtige Miene zu verstehen, daß »sie« ihm durchaus bekannt seien.
    Das glücklichste Wesen im ganzen Kreis war Félicité. Endlich hatte sie Gäste in ihrem Salon. Sie schämte sich zwar ein wenig ihrer alten, gelben Plüschmöbel; doch tröstete sie sich mit dem Gedanken an die kostbare Einrichtung, die sie anschaffen würde, sobald die gerechte Sache gesiegt hätte. Die Rougons nahmen jetzt ihren Royalismus wirklich ernst. Wenn Roudier nicht zugegen war, ging Félicité sogar so weit, zu behaupten, die JuliMonarchie40 sei schuld daran, daß sie mit ihrem Ölhandel kein Vermögen erworben hatten. Dadurch konnte sie ihrer Armut einen politischen Anstrich geben. Sie fand für jeden Schmeichelworte, selbst für Granoux, für den sie jeden Abend etwas Neues ersann, um ihn im Augenblick des allgemeinen Aufbruchs auf höfliche Art zu wecken.
    Der gelbe Salon, dieser täglich wachsende Mittelpunkt für die Konservativen aller Richtungen, erlangte bald großen Einfluß. Durch die Verschiedenartigkeit seiner Mitglieder, namentlich aber durch den geheimen Antrieb, den ein jeder seitens der Geistlichkeit empfing, wurde er zum Zentrum der Reaktion, die auf ganz Plassans ausstrahlte. Infolge der Taktik des Marquis, der sich völlig im Hintergrund hielt, sah man Rougon als das Haupt dieser Clique an. Die Versammlungen fanden in seiner Wohnung statt, das genügte den wenig scharfsichtigen Augen der meisten, um ihn an die Spitze der Gruppe zu rücken und ihn der öffentlichen Aufmerksamkeit zu empfehlen. Man schrieb ihm die gesamte Tätigkeit zu, hielt ihn für die Hauptperson der Bewegung, die nach und nach auch die begeistertsten Republikaner von gestern der konservativen Partei zuführte. Es gibt gewisse Lagen, aus denen nur anrüchige Leute Vorteile ziehen können. Sie legen dort den Grund zu ihrem Glück, wo bessergestellte und einflußreichere Menschen nie gewagt hätten, das ihre aufs Spiel zu setzen. Gewiß schienen Roudier, Granoux und die andern durch ihre Stellung als reiche und geachtete Männer tausendmal geeigneter als Pierre für die Rolle eines Führers der konservativen Partei. Aber keiner von ihnen wäre bereit gewesen, aus seinem Salon einen politischen Treffpunkt zu machen, ihre Überzeugungen gingen nicht so weit, daß sie sich öffentlich bloßgestellt hätten, kurz, sie waren nur Schreihälse und Provinzklatschmäuler, die gern bei einem Nachbarn über die Republik herzogen, vorausgesetzt, daß der Nachbar die Verantwortung für ihre Tratschereien auf sich nahm. Das Spiel war zu gewagt. Im Bürgertum von Plassans konnten es nur die Rougons spielen, mit ihrer ungestillten Gier, die sie zu den äußersten Entschlüssen trieb.
    Im April 1849 verließ Eugène plötzlich Paris und verbrachte vierzehn Tage bei seinem Vater. Den Zweck dieser Reise hat man nie genau erfahren. Es ist anzunehmen, daß Eugène seiner Vaterstadt auf den Zahn fühlen wollte, um festzustellen, ob er mit Erfolg als Abgeordneter bei der Gesetzgebenden Versammlung kandidieren könnte, die demnächst die Constituante41 ersetzen sollte. Er war zu klug, um es auf eine Schlappe ankommen zu lassen. Ohne Zweifel erschien ihm die öffentliche Meinung wenig günstig, denn er enthielt sich jedes Versuchs. Man wußte übrigens in Plassans nicht, was aus ihm geworden war und was er in Paris trieb. Bei

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