Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
Vom Netzwerk:
Zeit bei den Rougons ein Kern von Konservativen gebildet, die jeden Abend im gelben Salon zusammenkamen, um auf die Republik zu schimpfen.
    Da waren unter anderen drei oder vier Kaufleute, die sich vom Geschäft zurückgezogen hatten und nun um ihre Zinsen bangten, weshalb sie aus vollem Halse nach einer einsichtigen und starken Regierung schrien. Als Haupt dieser Gruppe galt Herr Isidore Granoux, Mitglied des Magistrats und ehemaliger Mandelhändler. Mit seiner Hasenscharte, die unter der Nase einen Spalt von fünf oder sechs Zentimetern bildete, seinen runden Augen, dem zufriedenen und zugleich verdutzten Gesichtsausdruck erinnerte er an einen fetten Ganter, der in der heilsamen Furcht vor dem Koch seiner Verdauung lebt. Er sprach wenig, weil ihm die richtigen Worte nicht einfielen; er hörte lediglich zu, wenn man die Republikaner beschuldigte, sie wollten die Häuser der Reichen ausplündern, wobei er sich damit begnügte, so rot zu werden, daß man einen Schlaganfall für ihn befürchtete, und halb unterdrückte Schmähungen zu murmeln, unter denen die Wörter »Faulenzer, Schufte, Diebe, Mörder« immerzu wiederkehrten.
    Allerdings waren nicht alle Stammgäste des gelben Salons von der Schwerfälligkeit dieses fetten Ganters. Herr Roudier, ein reicher Hausbesitzer mit einem fleischigen, einnehmenden Gesicht, redete dort stundenlang mit der Leidenschaft eines Orléanisten, dessen Berechnungen durch den Sturz LouisPhilippes35 über den Haufen geworfen worden waren. Er war ein Pariser Mützen und Strumpfhändler und früherer Hoflieferant, der sich nach Plassans zurückgezogen und seinen Sohn als Beamten beim Magistrat untergebracht hatte in der Hoffnung, daß die Orléans seinen Jungen zu den höchsten Würden bringen würden. Da die Revolution seine Hoffnungen vernichtet hatte, war er mit Leib und Seele zur Reaktion übergegangen. Sein Vermögen, seine früheren Geschäftsverbindungen zu den Tuilerien36, die er als freundschaftliche Beziehungen hinzustellen pflegte, das Ansehen, das jeder in der Provinz genießt, der sein Geld in Paris verdient hat und nun geruht, es hinten in einem Departement zu verzehren – das alles verschaffte ihm sehr großen Einfluß in der Gegend; manche Leute lauschten ihm wie einem Orakel.
    Doch der fähigste Kopf des gelben Salons war ohne Zweifel der Kommandant Sicardot, der Schwiegervater von Aristide. Von herkulischem Körperbau, mit einem ziegelroten, von Narben und einzelnen Büscheln grauer Borsten bedeckten Gesicht, zählte er zu den ruhmredigsten Großmäulern der Großen Armee37. In den Februartagen hatte ihn der Straßenkrieg zur Verzweiflung gebracht; er konnte nicht genug darüber reden und erklärte zornig, daß es eine Schande sei, sich in dieser Weise herumzuschlagen, und mit Stolz erinnerte er an die glorreiche Zeit Napoleons38.
    Ferner traf man bei den Rougons eine Persönlichkeit mit feuchten Händen und Schielaugen, den Herrn Vuillet, einen Buchhändler, der alle Betschwestern der Stadt mit Heiligenbildern und Rosenkränzen versorgte. Bei Vuillet gab es klassische und religiöse Bücher; er war ein Katholik, der genau die Vorschriften der Kirche beachtete, was ihm die Kundschaft der zahlreichen Klöster und der Pfarren sicherte. Er war auf den genialen Gedanken gekommen, mit seinem Büchergeschäft die Herausgabe einer wöchentlich zweimal erscheinenden kleinen Zeitung, »La Gazette de Plassans«39, zu verbinden, in der er ausschließlich klerikale Interessen vertrat. Diese Zeitung fraß ihm jährlich an tausend Francs weg, machte ihn aber zu einem Streiter der Kirche und half ihm, seine frommen Ladenhüter abzusetzen. Dieser ungebildete Mensch, dessen Rechtschreibung zweifelhaft war, verfaßte selber die Aufsätze der »Gazette«, wobei Demut und Galle die Begabung ersetzten. Als der Marquis seinen Feldzug begann, stach ihm sofort der Nutzen ins Auge, den er aus dieser platten Sakristansgestalt, dieser groben und eigennützigen Feder ziehen könnte. Seit dem Februar enthielten die Artikel der »Gazette« weniger Fehler; der Marquis sah sie durch.
    Man kann sich jetzt das eigentümliche Schauspiel vorstellen, das der gelbe Salon der Rougons allabendlich bot. Die verschiedensten Ansichten fanden sich hier zusammen und kläfften vereint gegen die Republik. Man fand sich im gemeinsamen Haß. Außerdem glättete die bloße Gegenwart des Marquis, der nie eine Zusammenkunft versäumte, die kleinen Streitigkeiten, die zwischen dem Kommandanten und den übrigen Anhängern

Weitere Kostenlose Bücher