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Das Glück der Familie Rougon - 1

Das Glück der Familie Rougon - 1

Titel: Das Glück der Familie Rougon - 1 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Émile Zola
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und lauschte, wie um zu hören, ob nicht irgendein Geräusch vom Nachbargrundstück herkäme. Dann, als er nichts vernahm, bückte er sich, schob ein Brett beiseite und verbarg sein Gewehr in einem Holzstoß.
    In der Ecke dort lag ein alter Grabstein, der beim Räumen des ehemaligen Friedhofs vergessen worden war. Ein wenig schief auf den Boden gestellt, bildete er eine Art erhöhter Sitzbank. Der Regen hatte die Kanten zerbröckelt, das Moos zernagte ihn langsam. Trotzdem hätte man im Mondlicht noch den Überrest der auf der Vorderseite, die halb in der Erde steckte, eingemeißelten Inschrift lesen können: »Hier ruht … Marie … gestorben …« Die Zeit hatte das Weitere verwischt.
    Nachdem der junge Bursche seine Flinte versteckt, nochmals gelauscht und immer noch nichts gehört hatte, entschloß er sich, auf den Stein zu steigen. Die Mauer war niedrig; er stützte die Ellenbogen auf den Rand. Doch jenseits der Maulbeerbaumreihe längs der Mauer sah er nur eine lichtübergossene Ebene; das Gelände des JasMeiffren, flach und baumlos, breitete sich wie ein riesiges Stück ungebleichter Leinwand unter dem Monde aus. In einer Entfernung von hundert Metern bildeten das Wohnhaus und das vom Halbpächter bewohnte Gesindehaus Flecken von noch blendenderem Weiß. Voll Unruhe schaute der junge Bursche nach dieser Seite, als gerade eine Turmuhr in der Stadt mit ernsten, langsamen Schlägen sieben zu schlagen begann. Er zählte die Schläge, dann stieg er, gleichsam überrascht und erleichtert, von dem Stein herunter.
    Wie jemand, der sich auf eine lange Wartezeit gefaßt macht, setzte er sich auf die Bank. Er schien nicht einmal die Kälte zu spüren. Während fast einer halben Stunde verharrte er bewegungslos, die Augen verträumt auf einen Schattenfleck geheftet. Er hatte sich in eine dunkle Ecke gesetzt, doch allmählich erreichte ihn der höhersteigende Mond, und sein Kopf war hell beleuchtet.
    Es war ein Bursche von kräftigem Aussehen, sein feingezeichneter Mund und die noch zarte Haut verrieten seine Jugend. Er mochte siebzehn Jahre alt sein. Er war schön, von einer eigenartigen Schönheit.
    Sein hageres und längliches Gesicht schien wie vom Daumen eines mächtigen Bildhauers geformt, die gewölbte Stirn, die hervortretenden Brauenbogen, die Adlernase, das breite, flache Kinn, die Wangen mit den sich deutlich abzeichnenden Backenknochen und den zurücktretenden Seitenflächen gaben dem Kopf etwas ungemein Energisches. Mit zunehmendem Alter mußte dieses Gesicht wohl allzu knochig werden, hager wie das eines fahrenden Ritters. Doch in dieser Zeit erwachender Männlichkeit, da es an Wangen und Kinn noch kaum mit Bartflaum bedeckt war, wurde seine Härte durch eine gewisse reizvolle Weichheit gemildert, durch einige Partien, die sich noch nicht ausgeprägt hatten und kindlich geblieben waren. Auch die Augen von einem weichen Schwarz verliehen mit ihrem feuchten Jugendglanz diesem sonst so energischen Gesicht etwas Sanftes. Allen Frauen hätte dieser Junge wohl nicht gefallen, denn er war durchaus nicht das, was man einen hübschen Burschen nennt; doch die Gesamtheit seiner Züge war von so glühender und anziehender Lebendigkeit, so schwärmerischer und kraftvoller Schönheit, daß die Mädchen seiner Provinz, diese sonnenverbrannten Töchter des Südens, von ihm träumen mußten, wenn er an warmen Juliabenden an ihrer Tür vorbeischlenderte.
    Immer noch saß er sinnend auf dem Grabstein und merkte nicht, wie das Mondlicht jetzt schon über seine Brust und seine Beine floß. Er war von mittlerer Größe, ein wenig untersetzt. Feste Gelenke verbanden seine von der Arbeit schon hart gewordenen Hände, richtige Arbeiterhände, mit den allzu kräftig entwickelten Armen. Die in groben Schnürschuhen steckenden Füße schienen stark und vorn breit zu sein. Seinen Gelenken, seinen Gliedmaßen und der schwerfälligen Haltung seiner Glieder nach war er ein Mann aus dem Volke. Doch in der Art, wie er den Hals geradehielt, und in dem nachdenklichen Schimmer seiner Augen lag etwas wie eine dumpfe Auflehnung gegen das Abstumpfende der körperlichen Arbeit, die ihn bereits zu Boden zu drücken begann. Es mußte, tief vergraben unter der Schwerfälligkeit seiner Herkunft und seiner Gesellschaftsklasse, eine verstandbegabte Natur in ihm leben, einer jener feingearteten, auserlesenen Geister, die, in derbes Fleisch gebettet, darunter leiden, daß sie nicht strahlend ihrer plumpen Hülle entsteigen können. So kam es, daß er bei

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